Naturpark Obersauer © Alfonso Salgueiro www.alsalphotography.com
Still ist es hier – geradezu andächtig still. Nur ein Specht hämmert unverdrossen irgendwo im Wald. „Kloster Cinqfontaines, kenne ich nicht“, hatte der junge Mann im Einkaufszentrum von Massen bedauert. Ein unscheinbares Schild gibt schließlich den Hinweis. Auf einer engen Straße geht es den Bach entlang, bevor Kirche und Klostergebäude in einer Lichtung auftauchen. Die entlegene historistische Anlage im nördlichsten Ösling, die 1906 von den Herz-Jesu-Priestern gegründet wurde, ist ein zwiespältiger wie denkwürdiger Ort. Wo heute gestresste Zeitgenossen versuchen, zu sich selbst zu finden, wurden während der deutschen Besatzung im Dritten Reich die Luxemburger Juden interniert, bevor man sie in deutsche Konzentrationslager deportierte. Auf dem Eisenbahngleis, über das ich fast stolpere, hielten die Deportationswaggons. Ein Mahnmal erinnert an das unfassbare Grauen. Ein Funken Hoffnung blieb auch hier. Ein paar Kilometer weiter am Bahnhof von Troisvierges beginnt als Wanderroute der „Fluchthelferweg“, über den einst mutige Luxemburger die Verfolgten über die Grenze brachten. Bevor ich gehe, lege ich nach jüdischem Brauch einen Stein neben die vielen anderen auf dem Sockel des Mahnmals. Eine steile, kurvenreiche Straße geht es hinauf auf die Anhöhe Richtung Asselborn, dem Dorf der Glaskünstler, die dort ihre Ateliers haben und im Sommer ihr internationales Glaskunstfestival feiern. Der gewaltige Ausblick verschlägt mir den Atem. Aber so ist er der Ösling, eine der schönsten Landschaften Luxemburgs, in der tiefe malerische Täler mit atemberaubenden Höhen wechseln. Eine Gegend für Schwächlinge ist dieser nördliche Teil des Großherzogtums, den die Luxemburger Éisleck nennen, gewiss nicht, wie treffend eine Luxemburger Schriftstellerin schrieb.
In die dichten einsamen Wälder dieses Ardennenteils zieht sich der Sommer zurück, wenn er genug hat von verbrannter Haut und lärmenden Stränden. Der Herbst färbt seine Buchen- und Eichenwälder in allen Rot- und Brauntönen, bevor im November der Nebel das Land in eine Allerseelenlandschaft verwandelt, die all die unzähligen Toten reden macht, die diese Gegend im Laufe der Jahrhunderte und wechselnder Herrschaften zu beklagen hatte. Karg und hart war das Leben stets in dieser bäuerlichen Region, anders als im südlichen Gutland, an das der Ösling grenzt. Bis heute gelten seine Bewohner als wortkarg und verschlossen. Womöglich ist ihnen auch die Wehrhaftigkeit geblieben, mit der sich ihre Vorväter, bewaffnet mit Knüppeln und Mistgabeln, im berühmten „Klöppelkrieg“ gegen Napoleons Säkularisierung wehrten.
Unten in Clervaux liegen weltliche und geistige Macht anschaulich beieinander. An diesem Samstag halten niederländische Motorradfahrer die idyllische Stadt besetzt. Ledernackig und breitbeinig bevölkern sie Straßen und Cafés. Oben im Schloss, das von der mächtigen neoromanischen Benediktinerabtei St. Maurice überragt wird, ist Edward Steichens berühmte „Family of Man“ untergebracht. Die großartigen Fotografien geben Anschauungsunterricht in Sachen menschlicher Diversität.
Weg vom Touristenrummel führt die Straße hinauf zur Abtei. Berühmtheiten wie Paul Claudel zogen sich hierher zurück. Der isländische Nobelpreisträger Hálldor Laxness konvertierte hinter den mächtigen Klostermauern zum Katholizismus. Unter der gut renovierten Kirche der Benediktinerabtei gibt eine Ausstellung in der Krypta Einblick ins Klosterleben. Der Klosterladen mit seinen CDs ist eine Fundgrube für Musikfreunde. Entlang der Klerf geht es hinunter nach Lelligen, einem Dorf wie gemalt mit seinen alten Höfen. Alljährlich findet hier ein Kunstmarkt statt. Wer eher an Natur interessiert ist, findet im Dorf einen Biohof. Am Dorfrand startet zudem die Via Botanica, ein Wanderweg durch eines der schönsten Täler des Öslings mit wilden Narzissen, seltenen Lohhecken und Ginsterheiden. Aus der Stille der Natur hinunter ins lebhafte Wiltz, der Festivalstadt mit Burg und Kriegsmuseum. Die alte Lohmühle und das Gerbereimuseum erinnern an die ehemals florierende örtliche Lederindustrie. Eine einzigartige Landschaft öffnet sich in Esch-sur–Sure im Naturpark Obersauer. Liebevoll umschließt der Fluss den kleinen altertümlichen Ort. Wildromantisch hängt die Burg, das alte Raubritternest im Hang. Im Haus des Naturparks in der alten Tuchfabrik ist die Auswahl an Regionalprodukten verlockend.
Ein paar Kilometer weiter am Stausee mit der gewaltigen Staumauer wechseln Strände mit wunderbar stillen Waldstücken. Der Weg zurück zur deutschen Grenze führt noch einmal quer durch den sagen- und legendenreichen Ösling und den Naturpark Our ins felsige Vianden mit seiner gut restaurierten Burg und dem Pumpspeicherwerk, das zu den größten Europas zählt. Vor dem Haus, in dem Victor Hugo lebte, machen fernöstliche Touristen Erinnerungsfotos. Im September treffen sich im Schloss beim großen Bücherfest wie jedes Jahr Literaturfreunde, Sammler und Kulturfreaks. Genau das Richtige an einem Ort , der selbst wie aus einem Märchenbuch wirkt.
Eva-Maria Reuther im OPUS Kulturmagazin Nr. 75 (September / Oktober 2019) auf S. 80-81.
Mehr Infos: www.visitluxembourg.com
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