Schauen zu, während Berenike an der Liebe verzweifelt: Paulinus (Fabian Gröver), Titus (Jan Hutter) und Antiochus (Sébastien Jacobi) in Alice Buddebergs Inszenierung von Jean Racines Schauspiel „Berenike“ © Saarländisches Staatstheater, Martin Kaufhold
Wie „Berenike“ in der Alten Feuerwache am Ende aus der Rolle fällt
Alice Buddeberg kreiert für Jean Racines Kammerspiel einen überraschenden Schluss
„Bleiben Sie zuversichtlich!“ Mit dieser Hoffnung entlässt Tagesthemen-Anchorman Ingo Zamperoni seine Zuschauer in seinen Abmoderationen in die lange Nacht. Auch Regisseurin Alice Buddeberg wollte ihr Publikum in der Saarbrücker Feuerwache mit dem tristen Ende des von ihr inszenierten Klassikers „Berenike“ nicht in den nach 90 Bühnenminuten angebrochenen Theaterabend entlassen. Denn in der Tat war die Umsetzung des 1670 geschriebenen von Alexandrinern triefenden Werkes aus der Feder des im Nachbarland wie hierzulande Goethe verehrten Großdichters Jean Racine ein böses, auswegloses Seelendrama geworden. Was war geschehen? Die dem zum römischen Kaiser aufsteigenden Titus (Jan Hutter) in Liebe ergebene Berenike, Königin von Palästina, war ihrem Geliebten nach Italien gefolgt, doch sein Volk akzeptierte kein fremdes Blut auf dem römischen Thron. Da nutzte es wenig, dass der Dritte im Bunde, Antiochus, wohl ein Verflossener früherer Tage, ihr weiter den Hof machte. Die Staatsraison, das machte Titus klar, erforderte eine klare Haltung von ihm, zumal sein dienstbeflissenes Umfeld mit dem Vertrauten Paulinus (Fabian Gröver) keine Hintertür öffnete.
Alice Buddeberg zeigt in ihrer Inszenierung, dass die Männerwelt buchstäblich der Liebe keine Chance gibt und die Herren der Schöpfung nicht über ihre eigenen Schatten springen. Weder der unendlich Säcke zu Schutzwällen aufrüstende Paulinus, noch der sich selbst im Wege stehende, unbeholfene Antiochus (großartig Sébastian Jacobi), noch der sich den Spielregeln der Ausländerfeindlichkeit ergebende Titus (Jan Hutter) vermögen die Liebessehnsucht der zunehmend verzweifelnden Berenike (Laura Trapp) zu beantworten. Am Ende sucht sie im Hochzeitskleid, das auch als Totenhemd gelesen werden kann, den Freitod. Doch dieses Endspiel der Trostlosigkeit will die Regisseurin nicht als Rausschmeißer in die Nacht verstehen. Wie in einem Nachklapp lässt sie die Schauspielerin aus ihrer zuvor eindrucksvoll verkörperten Rolle treten und widersetzt sich den ihr vom „starken Geschlecht“ zugewiesenen Lebensentwürfen. Die „Zukunft ist dunkel. Wir werden uns verlaufen“, das klingt wie ein Kommentar zum Krisenjahr 2022. Doch Berenike ist stark, sie verweigert sich. Und die Moral von der Geschichte, siehe Zamperoni!
Burkhard Jellonnek