Betrachtung der Gesamtkomposition im Atelier der Werkstätten © Gustav van Treeck GmbH, München / Gerhard Richter 2020 (23112020)
(red.) Mit dem Einbau der letzten Fenster hat die Bayerische Hofglasmalerei Ende März ein kunstgeschichtlich bedeutsames Glasmalereiprojekt abgeschlossen: Jetzt begeistern in der Tholeyer Abteikirche St. Mauritius Mahbuba Maqsoodis ausdrucksstarke Kompositionen auf Glas neben den abstrakt verspielten Chorfenstern von Gerhard Richter. Die anfänglich teils umstrittene Zusammenführung der künstlerischen Positionen entfaltet kraftvoll und harmonisch das ganze Potenzial der Jahrhunderte alten Kunst der Glasmalerei und erfüllt den Kirchenraum mit kräftigen Farbspielen.
Das Projekt ist nicht nur wegen Richter etwas ganz Besonderes: Spektakulär ist außerdem, dass die Benediktinerabtei St. Mauritius zu den ältesten deutschen Klöstern zählt, erstmals eine Afghanin wichtige deutsche Kirchenfenster gestaltete und eine von Frauen geführte Glaswerkstätte die Fenster umsetzte. So kann man getrost sagen, dass es sich um eines der größten und kunsthistorisch sowie glasmalerisch bedeutendsten Projekte unserer Zeit handelt. Mahbuba Maqsoodi – Kunst aus meisterlicher Frauenhand 29 der insgesamt 32 neuen Kirchenfenster stammen von der Münchner Künstlerin Mahbuba Elham Maqsoodi. Sie konnte sich bei einem beschränkten, Kunstwettbewerb bei Stiftern und Bauherren durchsetzen. Maqsoodis einzigartige gegenständliche Malereien sind durchdacht und in Perfektion ausgearbeitet. Ihre bühnenhaften inszenierten Werke bewegen sich zwischen Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem. Sie stellen Themen und Figuren des Alten und Neuen Testaments in einer sprachfähigen und zugleich rätselhaften Weise dar und prägen sie auf ihre Weise.
Momentaufnahme von der Künstlerin im Atelier der Werkstätten © Mahbuba Maqsoodi 2021 (07042021)
Die Betrachter der Maqsoodi-Fenster berührt die starke und anmutenden Farbigkeit und der Gestaltungsreichtum. Die Großformate und Charakterisierung der abgebildeten Akteure sowie die Gesamtkompositionen der gläsernen Gemälde zeugen von tiefem Verständnis der Glaubensbotschaften. Dies war auch schon Merkmal zahlreicher früherer internationaler Werke der Künstlerin. Das Besondere an den figürlichen Darstellungen im typischen Maqsoodi-Stil ist die Kraft, die durch einen dynamischen Duktus, die intensive Farbgebung und durch die vollkommene Beherrschung des Materials zu Stande kommt. So schafft es die Künstlerin mit malerischer Virtuosität aus den Überfanggläsern im Verbund mit bemalten Trägerscheiben, die Raum- und Lichtsituation optimal für ihre narrative unverwechselbare Kunst zu nutzen.
Lichtspiel vom Südchor “Hl. Mauritius“, Maqsoodi-Fenster © Mahbuba Maqsoodi 2021 (07042021)
Gerhard Richter – Abstraktion, Konzept und ein Meer von Motiven
Jedes der drei 1,95 x 9,3 Meter großen Chorfenster besteht aus zwei Lanzetten mit je sieben Rechteckfeldern. Zwei Spitzbögen sowie mittig ein Dreipass mit drei kleinen Zwickeleinlagen beschließen die Fenster. All diese Bereiche sind von Gerhard Richter mit farbintensiven Bildern bespielt, zwischen den beiden blau-rot dominierten Fenstern bezaubert das mittlere Fenster unter anderem mit gelben Malereien. Jedes Fenster zeigt fünf unterschiedliche Motive, die sich vertikal sowie horizontal gespiegelt wiederholen und zu einem detailreichen Gesamtwerk arrangiert sind. Überall kann der Betrachter Figuren in den abstrakten Malereien erkennen und fast möchte man an orientalische Wandteppiche denken.
Glasmalerei an den Richterfenstern bei Gustav van Treeck © Gustav van Treeck GmbH, München / Gerhard Richter 2020 (23112020)
Glasmalereien an den Richterfenstern bei Gustav van Treeck © Gustav van Treeck GmbH, München / Gerhard Richter 2020 (23112020)
Aufwändig entwickelt aus einem abstrakten Gemälde basieren die Entwürfe der Richter-Fenster auf seinem Bild mit der Werkverzeichnisnummer 724-4. Dieses Gemälde wurde ab 2009 von dem Künstler in Zusammenarbeit mit seinem Besitzer digital bearbeitet. Dazu wurde es erst vertikal in zwei Teile geteilt und diese gespiegelt, sodass zwei Bilder entstanden, die je die gleiche Größe wie das Originalbild hatten, aber jeweils nur eine Hälfte des Originals gespiegelt zeigten.
Auf gleiche Weise wurde das Bild im Anschluss vier Mal vertikal geteilt und gespiegelt, bis die Ursprungsbreite erreicht war, dann acht, 16, 32, 64, 128, 256, 512, 1024, 2048 und 4096 Mal. Der gesamte Prozess kann in der Publikation „Patterns“ nachvollzogen werden. Für die Tholeyer Fenster entschied sich der Künstler für Ausschnitte aus der 16-mal geteilten Serie. Daraus sind 15 Motive entnommen, die wiederum sowohl vertikal als auch horizontal gespiegelt die Chorfenster gestalten.
Weitere spannende Details zum Gestaltungsprozess gibt es hier
Zur weiteren Einstimmung dürfen wir Ihnen zudem eine Vorschau auf den Dokumentarfilm „Brücke aus Glas“ (© Löwenherzfilm) gewähren, der die Entstehung der Maqsoodi-Fenster begleitet und demnächst erscheint: