Szene aus Anton Tschechows Drama „Platonow“ in der inszenierung von Timofej Kuljabin © Arno Declair
Kampf gegen Lethargie und Tod
Mit einem absoluten Highlight endet die Schauspielsaison im Grand Théâtre in Luxemburg. Zu Gast ist das Deutsche Theater Berlin mit Anton Tschechows frühem Drama „Platonow“ in der Inszenierung des exilrussischen Regisseurs Timofej Kuljabin. Der 1984 geborene Russe ist einer der eigenständigsten und interessantesten Regisseure dieser Zeit. Opus Kulturmagazin sprach mit dem Künstler über seine Neuinterpretation des Dramas. Die Kritik zum Stück können Sie hier nachlesen.
Was interessiert Sie an Anton Tschechows frühem Drama „Platonow“?
Tschechow ist einer der wichtigsten Dramatiker überhaupt. Das ist auch nicht meine erste Tschechow Inszenierung, aber meine jüngste. „Platonow“, Tschechows erstes Drama, ist ein gewaltiges Werk. Es ist sehr dicht, hat zu viele Linien, zu viele Charaktere. Was jedoch interessant ist: es ist schon typisch Tschechow. Im „Platonow“ sind bereits die Motive, Linien und Charaktere angelegt, die typisch für seine Bühnenstücke sind. Als Figur ist Platonow der wichtigste Prototyp für das Werk von Tschechow. Er leidet, ist selbstreflexiv, unentschlossen. Für mich als Regisseur stellt sich die Frage: wie gehe ich damit um, um das Drama kürzer, klar und präziser zu machen.
Wie haben Sie sich als Regisseur „Platonow“ genähert?
Ich habe in meinem Plot die ganze Situation verändert. Mein Stück spielt in einem Seniorenheim, in dem Schauspieler leben. Solche Häuser für „Kultur-Arbeiter“ im Ruhestand gibt es heute noch in Russland. Dort leben die Bewohner in meiner Inszenierung allein und vergessen und warten einfach auf das Ende ihres Lebens. Platonow ist der berühmteste und populärste der Hausinsassen. Er will diese apathischen Menschen wieder lebendig machen.
Ist Platonow nicht auch ein zynischer Mensch?
Absolut. Aber das sind viele der Charaktere Tschechows. Er ist zynisch und kaltblütig, weil er sehr krank ist.
Hat Platonow mit seiner grüblerischen Natur nicht auch etwas von Hamlet?
Durchaus, aber es gibt noch eine andere Tschechow Figur, den Iwanow, den nennt man sogar den russischen Hamlet.
Sehen Sie im „Platonow“ Parallelen zur aktuellen Situation der russischen oder sogar der europäischen Gesellschaft?
Da gibt es viele Assoziationen. Die wichtigste in meiner Inszenierung ist, dass alle meine Charaktere verloren, einsam und vergessen sind. Niemand braucht sie, sie sind aufgegebene Menschen. Alle ihre Beziehungen sind exaltiert, aufgesetzt, oberflächlich und bisweilen voller Komik. Es sind keine echten Beziehungen. Natürlich sind es Schauspieler und es liegt in ihrer Natur, immer zu spielen, zu performen, eben nicht natürlich zu sein. Sie sind nicht in der Lage, wirkliche Beziehungen zu pflegen. Mal sind sie melancholisch, mal pathetisch. Alles ist artifiziell. Das ist ihre Natur.
Welche Rolle spielen die Frauen?
Das sind alles nur formale Geliebte. Wirklich liebt Platonow niemanden. Der Hauptgrund, warum er drei Liebesaffären anfängt ist, dass er gegen die lethargische Situation in diesem Altersheim kämpft. Wenn er in dieses Haus kommt und sieht, dass die Leute dort nichts anderes tun, als auf ihren Tod zu warten, will er, dass sie diese Passivität überwinden.Deshalb startet er diese Provokationen. Er will einfach, dass sie dieses Leben strahlend und glücklich verlassen. Er möchte, dass sie noch einmal etwas anderes fühlen, wie Leidenschaft und andere Emotionen und nicht nur an ihren bevorstehenden Tod denken.
Ist Zynismus für Platonow nicht auch eine Möglichkeit, sich vor der Realität zu schützen?
Ja, sein Zynismus ist seine Art den Tod zu bekämpfen und diese passive Haltung ihm gegenüber. Anders als bei Tschechow (wo Platonow von einer der Frauen umgebracht wird, red. Anm. ) sterben In unserer Inszenierung am Ende alle außer Platonow, weil er so „cool“ ist. Sie sterben, weil sie keine Gefühle mehr haben, und die Emotionen nicht aushalten, die er provoziert. Wenn man so will, wird Platonow durch diese Provokationen zum Mörder.
Ist „Platonow“ nicht auch ein Drama über die Lebenslüge?
Durchaus. Aber da alle Schauspieler sind, gehört es zu ihrer Natur, etwas vorzugeben was nicht wirklich ist. Sie glauben Platonow nicht, weil er sie überzeugt, sondern weil sie an der Illusion hängen, die er ihnen anbietet. Auch sie wollen ihr Leben und ihre letzten Tage strahlend beenden. Jeder merkt sofort, dass alles Lüge ist, aber es hilft ihnen, dem Tod entgegenzugehen. Da sie Schauspieler sind, können sie an jede Situation glauben.
Sind wir nicht alle in unserem Leben auch irgendwie solche Schauspieler?
(Kuljabin lacht) Im philosophischen Sinn, denke ich schon. Schon Shakespeare hat es uns gesagt.
Aber Sie lieben „Platonow“?
Ich denke schon.
Die Fragen stellte Eva-Maria Reuther
Weitere Vorstellung, Samstag 17.Juni,20 Uhr