Bei Zombie Walks – hier auf der FaRK Messe 2017 in Landsweiler-Reden – versetzen sich Menschen in die Rolle von Zombies © Sandra Aline Wagner
Mein Freund, der Zombie? Wurden Monster im 20. Jahrhundert noch als Schreckgespenster wahrgenommen, als etwas durchaus Fremdes, so sind Werwolf, Vampir und Zombie mittlerweile einfach nur noch ‚anders‘ – und oft auch sexy.
Es scheint, als habe die millenniale Gesellschaft eine deutliche Toleranz gegenüber Untoten und Gestaltwandlern entwickelt. Offen gestanden sind die Zombies bei dieser Evolution die Nachzügler, denn sie galten tatsächlich bis vor ein paar Jahren als das ultimativ Monströse, das nicht toleriert werden kann. Dies hat sich allerdings mit der Veröffentlichung von Isaac Marions „Warm Bodies“ (2010) und der dazugehörigen Verfilmung (2013) mit dem schönen Nicholas Hoult als romantischem Zombieliebhaber ganz schnell geändert. Angefangen hat die Aufwertung und Akzeptanz der Monster in der heutigen Gesellschaft jedoch mit dem Vampir.
Den Vampir fanden wir schon immer irgendwie erotisch, doch da Sexualität in der westlichen Gesellschaft bis zum „Summer of Love“ ein Tabuthema war, war der Vampir bis zu diesem Zeitpunkt auch stets bedrohlich. Ab den 1970er Jahren entwickelte sich der Vampir nun langsam, aber sicher zu einem Monster, das wir verstehen und tolerieren wollen; von dem wir verführt werden wollen, auch wenn es uns das Leben kostet. Revolutioniert wurde das Bild des Vampirs in der Popkultur vor allem von Anne Rices postmodernen „Vampire Chronicles“ (1976-2014). Sie gestand ihren Untoten ein Innenleben zu, zeigt sie als reflektierende Subjekte statt mörderischer Objekte. Rice fügt dem Vampirmythos noch eine signifikante Eigenschaft hinzu, ohne die der heutige Vampir nicht mehr zu denken wäre: Sie verschaffte ihm ein Upgrade vom einfachen Untot-Sein zur Unsterblichkeit – eine Eigenschaft, die für den Menschen im schnelllebigen digitalen Zeitalter äußerst begehrenswert erscheint.
In der Kinderliteratur macht der Vampir Ende der 1970er Jahre ebenfalls eine Veränderung durch: in Angela Sommer-Bodenburgs „Der kleine Vampir“ (1979) schließt der Menschenjunge Anton Freundschaft mit dem Vampirkind Rüdiger. Auch wenn Rüdiger ziemlich seltsam ist und unheimlich aussieht, lernt Anton ganz schnell, dass sein neuer Freund lediglich etwas anders ist. Toleranz ist hier das Stichwort, das in dieser Bücherreihe pädagogisch wertvoll vermittelt wird. Somit verliert der Vampir seine bedrohliche Fremdheit ab Ende des 20. Jahrhunderts. Glaubt man dem Philosophen Bernhard Waldenfels, so beginnt Fremdheit in uns selbst. Deshalb spiegeln monströse Figuren stets auch einen Teil unserer gesellschaftlichen Ängste und Probleme wider. Die radikalste Form des Fremden findet sich in grenzwertigen Phänomenen, wie zum Beispiel dem Tod und auch der Sexualität – Themen, die ganz offensichtlich schon immer in der Figur des Vampirs vereint waren und sind.
Monster: Nicht mehr fremd, sondern nur noch anders und nicht mehr bedrohlich
Weiterhin unterscheidet Waldenfels den Begriff des Fremden vom Anderen, da das Fremde stets auch beunruhigend und bedrohlich wirkt: „Das Fremde tritt uns einerseits als bedrohlich entgegen, da es dem Eigenen Konkurrenz macht und ihm seine Selbstverständlichkeit raubt, und es wirkt andererseits verlockend auf uns, da es in uns eigene Möglichkeiten wachruft.“ Diese Betrachtungsweise erklärt auch, weshalb Vampire und andere Monster in der Literaturgeschichte stets eine gewisse Anziehungskraft ausgeübt haben. Die Onlinekultur des neuen Jahrtausends hat sich nun vollends das Fremde, sprich: den Vampir, den Werwolf, den Zombie, in einer Abwehrreaktion angeeignet. Denn nach Waldenfels ist die wirksamste Form der Abwehr „die Aneignung, die das Fremde zu wahren verspricht, indem es sie absorbiert.“ Mit dieser Entwicklung wurde den Monstern ihre Fremdheit genommen und zu einer (unbedrohlichen) ‚Andersheit‘ gewandelt. Monster haben sich damit auch den Forderungen der modernen Gesellschaft nach Toleranz angepasst.
Im neuen Jahrtausend kam mit der „Twilight“-Trilogie schließlich der vegetarische Vampir zum Vorschein, der den Boom der sogenannten Paranormal Romance auslöste – Liebesgeschichten, in denen ein sexy Monster begehrt wird. Der Glitzervampir repräsentiert dabei eine optimierte Version des Menschen – er ist schöner, schneller, stärker als der menschliche Mann, und obendrein noch unsterblich. Die weiblichen Protagonisten sehnen sich in den Geschichten danach, zur Vampirin zu werden, ist doch die Transformation nichts anderes als ein extremes Make-Over. Diese Entwicklung des Vampirs zum idealen romantischen Partner übertrug sich rasant auch auf den Werwolf, und nicht zuletzt den Zombie. Letzterer bleibt jedoch größtenteils sexuell inaktiv – Körperteile fallen dem verwesenden Untoten ja durchaus gerne ab, was den sexuellen Akt erschwert. Allerdings fokussiert der romantische Zombie damit auf ganz andere Werte wie Zärtlichkeit und Verständnis, und hofft auf die Tolerierung seiner Unvollkommenheit.
Sandra Aline Wagner im OPUS Kulturmagazin Nr. 90 (März/April 2022) zum Schwerpunkt „Respekt und Toleranz“