Michael Kohlhaas © Arno Declair
Im Grand Théâtre in Luxemburg hatte Andreas Kriegenburgs Theater-Fassung von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ Premiere. Die Inszenierung ist eine Produktion des Deutschen Theaters Berlin in Kooperation mit dem Luxemburger Haus und den Bregenzer Festspielen.
Zum Ende ein Abgesang in eigener Sache. Wie ein müder Medienstar steht Max Simonischek als Michael Kohlhaas vorne am Mikrofon und erzählt mit versagender Stimme von seinem eigenen Ende. Der Kampf ist ausgekämpft, die Welt wieder notdürftig in den Fugen. Doch von Anfang an: Ein Geviert aus rohen Brettern hat Harald Thor auf die Bühne gestellt. Auf dem Boden liegt weiteres Holz verstreut. In dieser düsteren Bruchbude sitzt ein mürrischer Martin Luther, der unwillig die Rufe von draußen abwehrt. Der da ruft ist Michael Kohlhaas, der einst angesehene Pferdehändler, den das erlittene Unrecht zum Mordbrenner gemacht hat. Später wird das Feuer von Bränden durch die Wandspalten leuchten. Kohlhaas Anliegen ist dringend. Will er doch nicht nur irdisches Recht. Der Reformator soll ihm Absolution erteilen und zu seinem Seelenheil verhelfen. Ein Desperado steht da vor Luther, ein heruntergekommener Mann im langen schmutzigen Mantel (Kostüme Andrea Schrad), der sein Seelenheil wenn nötig mit der Waffe erzwingen will und jene Vergebung fordert, die er selbst seinen Feinden nicht gewähren kann.
Eindringlich und düster beginnt Andreas Kriegenburgs Inszenierung von Heinrich von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ im Grand Théâtre in Luxemburg. Die Düsterkeit wird sich den ganzen Abend nicht lichten. Und selbst dort, wo Lachen erklingt ist es das höhnische Lachen der Fratze. Gleich in dieser ersten bildstarken Setzung eines eindrucksvollen Abends wird klar, wer dieser Kohlhaas ist. Ein im Grunde rechtschaffener, gottesfürchtiger Bürger, dem die erfolglose Forderung nach Recht zum mörderischen Wahn geworden ist. Wenn am Ende schließlich Recht gesprochen ist, und Kohlhaas, bevor er sich dem Todesurteil beugt, den vom Kurfürsten begehrten Zettel verschluckt, auf dem die Zukunft der Dynastie geweissagt sein soll, bleibt das ein ohnmächtiger Triumpf. Längst ist der Mann, dessen Kopf gleich rollen wird und der Frau, Familie und Existenz seinem wütenden, kompromisslosen Beharren geopfert hat, an sich selbst verblutet. In Kleists berühmter Novelle geht es bekanntlich um Recht und Gerechtigkeit, um Schuld, Selbstjustiz, um Macht, Seilschaften und Machtmissbrauch. Aber es geht auch um die Verhältnismäßigkeit der Mittel und die Absage an jeden menschenverachtenden Fundamentalismus.
Andreas Kriegenburg legt eine ausgesprochen intelligente analytische Inszenierung vor, die nicht zuletzt deshalb so zeitlos aktuell ist, weil sie sich nicht angestrengt um tagesaktuelle Relevanz bemüht, sondern sich auf die Wirkmacht der Bildhaftigkeit und der Metapher verlässt. Sein „Kohlhaas“ bleibt ein Spiel mit wechselnden Rollen. „Muss ich noch immer den Kurfürsten spielen“, mäkelt in schönster Illusionsbrechung Markwart Müller-Elmau. Kriegenburg erzählt die Novelle nicht nach. In sieben Tableaus legt er ihre Kernaussagen frei. Seine Inszenierung wirkt wie ein ästhetisiertes Thesenpapier, das mit seiner Sprachgewalt und packenden Bildmacht auf Geist und Sinne zielt und Kleists Anliegen zum zeitlos gültigen macht.
Max Simonischek ist ein bewegender am Ende im Wortsinn lebensmüder Kohlhaas. Gleichwohl beruht die eigentliche Wirkmacht der Inszenierung auf der großartigen Ensembleleistung. Kriegenburg schafft ein dynamisches Gesamtkunstwerk, in dem sich Erzählung und szenisches Spiel verdichten. Dabei erinnern die chorischen Szenen bisweilen an Ulrich Rasches „Räuber“. Es sind ja auch allesamt Räuber, Kohlhaas Terrorhorden genauso wie die Politiker und Mächtigen, die im Namen des Rechts das Recht beugen und ihre eigenen Machtkämpfe führen. Vielleicht nicht alle: So ist der nüchterne Großkanzler Graf Wrede, selbst auswechselbarer Teil des Systems, ein Mann, der zwischen der Pflicht des Amtes und subjektiver Empfindung unterscheidet. Es sind die Frauen (Brigitte Urhausen als Kohlhaas Frau Elisabeth und Lorena Handschin), die in Kriegenburgs Inszenierung Menschlichkeit und praktische Vernunft verkörpern und Kohlhaas vermeintliche Grundsatztreue als beschränkten Starrsinn und narzisstische Eitelkeit entlarven.
Mit seinem „Kohlhaas“ legt Kriegenburg eine gelungene Kleist Adaption vor, in der die Bilder hochberedt sind und die Sprache als Klang und Rhythmus sinnstiftend Gestalt annimmt. Einmal mehr erweist sich der Regisseur als scharfsichtiger, feinsinniger Meister der Satire. Hinreißend wird das noch einmal in der Schlussszene deutlich, wenn der Kurfürst als skurrile Gestalt im historischen Gewand im Hintergrund tatenlos zusehen muss, wie Kohlhaas die vermeintliche Weissagung einer Zukunft verschluckt, die längst angebrochen ist.
Eva-Maria Reuther