Vom Reifen in schwierigen Zeiten
Im Theater Trier hatte Robert Seethalers Bühnenstück „Der Trafikant“ Premiere
Von Eva-Maria Reuther
Sex ist lustvoll, hat aber mit Liebe erstmal nichts zu tun. Das lernt der verliebte Franz Huchel durchs Leben und vom berühmten Professor Sigmund Freud. Den 17jährigen hat seine Mutter 1937 nach dem Tod ihres reichen Liebhabers aus Geldnot zur Arbeit bei ihrem alten Freund, dem Trafikanten Otto Trsnjek, nach Wien geschickt. In dessen Kiosk (dem Trafik) ist der „Deppendoktor“, wie die Leute den Psychoanalytiker nennen, Stammkunde. Das „Youngblood“ aus einem Dorf am Attersee muss auch sonst noch allerhand lernen. Zum Beispiel, was eine gute Zigarre ist und wie bösartig die Menschen sind und ihre politischen Büttel. Dass Zeitunglesen, wie der Trafikant seinem neuen Mitarbeiter einschärft, gegen Unkultur hilft, erweist sich allerdings als Irrtum. Passend zum Gedenktag der Reichsprogromnacht vor 85 Jahren feierte Robert Seethalers Schauspiel „Der Trafikant“ jetzt in der Inszenierung von Christina Gegenbauer in der Außenspielstätte des Trierer Theaters, in der Europäischen Kunstakademie, Premiere. Das landauf, landab gespielte Bühnenstück beruht auf dem gleichnamigen Roman des österreichischen Schriftstellers. Die 2016 uraufgeführte Bühnenfassung besorgte der Autor selbst. Seethalers Bestseller ist ein klassischer, mit leichter Hand erzählter Entwicklungsroman. Berichtet wird darin die Geschichte eben jenes jungen Franz Huchel, der in der Zeit des österreichischen Anschlusses an Nazideutschland aus der ländlichen Provinz in die hauptstädtische Metropole kommt und dort nicht nur die Irrungen und Wirrungen der ersten Liebe, sondern auch die offen zu Tage tretende Judenfeindlichkeit und den zunehmenden nationalsozialistischen Terror erlebt, dem auch sein Arbeitgeber Trsnjek zum Opfer fällt und der Freud zur Emigration zwingt. Der Professor mit der Vorliebe für edle Zigarren wird Franz ein väterlichen Freund und Nothelfer in Sachen Liebe. Angesichts der nationalsozialistischen Gewalt wird aus dem unbekümmerten Greenhorn ein aufbegehrender Widerständler. Die Dramatisierung von Romanen ist bekanntlich meist problematisch. Seethaler hat sein mit leichter Hand geschriebenes episches Werk zu einem Lehrstück über Nationalsozialismus und Adoleszenz zusammengedampft. Die literarische Destillation wirkt, als wäre sie ein Stück von Brecht mit dem Personal eines Horvath-Stücks. Christina Gegenbauer, die sich in Trier bereits mit der Inszenierung von „Der gute Mensch von Sezuan“ empfohlen hat, inszeniert auch Seethalers Stück wie eine Brecht`sche Parabel. Dazu hat ihr Frank Albert (Bühne und Kostüme) eine Art Tribüne aus gestaffelten Kuben gebaut, deren symbolträchtiges Rot sich in der österreichischen Flagge findet, die alsbald der Hakenkreuz-Fahne weicht. Ein Rot, das glüht wie die Liebe, aber ebenso an das Blut der Nazi-Opfer gemahnt. In der roten Höckerlandschaft lebt, leidet und liebt Franz. In ihr bewegen sich sein Umfeld und die Zeitverhältnisse mit ihren Verwerfungen. Dahinter beginnt die Natur, in der Vogelstimmen erklingen und in der das Wasser des heimatlichen Attersees rauscht. Gegenbauer inszeniert frisch, strukturiert, mit Tempo und wohldosiertem Witz. Dabei beweist sie ein sicheres rhythmisches Gespür für den Wechsel zwischen szenischem Spiel und Erzählung, in der Franz und seine Mutter als Briefwechsel ihre Erlebnisse schildern. Gegenbauer versteht sich wunderbar auf eine Poesie der sparsamen Zeichen. Ihre Bildsprache ist ebenso poetisch wie klar. Gleichwohl bleibt die Inszenierung unbefriedigend. Das liegt zum einen am mageren Text, der sich weithin in Gemeinplätzen und ein paar Merksätzen erschöpft, für die vor allem Freud zuständig ist. Zum anderen enttäuscht die schwache spielerische Leistung der Hauptdarsteller. Trotz sichtlicher Spielfreude und körperlichem Einsatz vermag Florian Vogt als Franz Huchel seiner Figur keine Tiefe und Mehrdimensionalität zu geben. Man glaubt ihm weder die Wandlung vom naiven Unerfahrenen zum Wissenden, noch den Träumer, der zum Künstler wird, wenn er aufschreibt, was ihm im Traum widerfährt. Wenn er erkennt: „Man hat ja Verantwortung“, klingt das wie aufgesagt. Seinen väterlichen Freund Sigmund Freud spricht Klaus-Michael Nix so zackig, als unterrichte er in einer preußischen höheren Lehranstalt. Als Franz alleinerziehende Mutter hat Barbara Ullmann ein paar berührende Momente, bleibt aber weithin deklamierend, und auch das nicht immer mit überzeugendem rhythmischen Gefühl. Blass und betulich kommt Michael Hiller als kriegsversehrter einbeiniger Trafikant Trsnjek daher. Die eigentlichen Hauptdarsteller bleiben in Gegenbauers Inszenierung die Nebendarsteller. Als brillante Verwandlungskünstler in jeweils mehreren Rollen glänzen Tamara Theisen und Paul Hess und allen voran Raphael Christoph Grosch. Als Roßhuber stattet Grosch seinen nationalsozialistischen Metzger mit einer viehischen Brutalität aus, mit der hier Schweine und anderswo Menschen geschlachtet werden. Von infernalischer Schärfe sind Groschs kabarettistische Auftritte als Conférencier Heinzi, so dass es einem kalt über den Rücken läuft. Mit zurückgenommener Geste, aber ausdrucksstark, beeindruckt Paul Hess als schmieriger Prater-Kellner und dumpfbackiger Bürokrat ebenso, wie als SS-Offizier hinter dessen vermeintlicher Freundlichkeit Zynismus, Heimtücke und Gewalt lauern. Vielschichtig und wandlungsfähig beeindruckt Tamara Theisen als Franz erste Liebe Anezka (neben weiteren Rollen), eine nüchterne Pragmatikerin, die ihren Spaß haben will und sich der normativen Kraft des Faktischen beugt. Ein Highlight ist die finale Szene, wenn Hess, Theisen und Grosch die nächtliche Hissung von Trsnjeks einbeiniger Hose als Fingerzeig kolportieren.
Weitere Aufführungen: 15.11.,10.00 Uhr sowie 19.30Uhr, 15.12.,19.30Uhr, 17.12.18.00 Uhr,
theater-trier.de