Szene aus „Untergang“ © Marco Piecuch
Am Theater Trier hatte die gleichnamige Stückentwicklung von Thomas Dannemann Premiere
Ein spärlich bekleideter junger Mann taumelt aus dem grauen Kubus des Hauses ins Freie. Wohin er denn laufen will, versucht ihn seine Mutter vergeblich aufzuhalten. „In den Untergang!“ Ein tumber Thor, der in sein Verderben rennt. Mit einer starken Setzung beginnt Thomas Dannemanns Stückentwicklung „Untergang“. Das Bühnenstück, das der Regisseur gemeinsam mit dem Dramaturgen Philipp Matthias Müller und seinem Ensemble für das Theater Trier erarbeitet hat, feierte jetzt in der Außenspielstätte des Hauses in der Europäischen Kunstakademie Premiere.
Anlass für das Projekt ist die rheinland-pfälzische Landesausstellung „Der Untergang des Römischen Reiches“. „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ hat Heraklit (laut Zuschreibung) das zynische Paradox des Krieges, der durch sein zerstörerisches Werk die Grundlage für Veränderung und Neuanfang schafft, auf den Punkt gebracht. Auch Dannemanns Untergangsreflektionen bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Zerstörung und Neubeginn. Nichts bleibe so wie es ist, erkennt einer der Spieler. Da klingt Ovids die Welt bewegendes „Nichts behält seine Gestalt“ mit, aber auch Mephistos nihilistisches „Denn alles was entsteht ist wert, dass es zugrunde geht“. Als dynamische szenische Collage, die in ihrer Komplexität wunderbar die Balance zwischen Tragödie und Groteske hält, hat Dannemann seine Geschichte von Untergang und Neubeginn für die Bühne eingerichtet. Darin ist der Krieg eine als Motor fungierende Konstante. Angefangen vom Peloponnesischen Krieg, wie ihn Thukydides darstellt, aus dessen Kriegsbericht gelesen wird, über Caesars „Gallischen Krieg“ bis zu den beiden Weltkriegen, die aus dem alten Europa eine „Welt von gestern“ machten. Wie Stefans Zweig seine Erinnerungen betitelt, die hier auch zu Wort kommen. Die endlose Folge von Kriegen setzt dieser Tage der Ukraine Krieg fort.
Sinnstiftend nutzt Dannemann die Gegebenheiten des ehemaligen Atelierraums als Bühne. Mittig markieren die Säulen, die das Dach stützen, einen Gang, an dessen Enden jeweils graue bunkerähnliche Kuben stehen, durch die die Spielerinnen und Spieler auftreten und abgehen. Das Publikum sitzt zu beiden Seiten. Dannemanns Säulengang ist die Straße, auf der die Kriegsheere wie die Heerscharen des Massentourismus vorbeiziehen, und auf der die Leichen auf einem Wagen, der alltäglich Güter transportiert, weggekarrt werden. Die Straße entlang zieht sich die glitschige Blutspur, die die Verwundeten und Toten der Kriege hinterlassen und auf der die Lebenden und Nachgeborenen ausrutschen. Der Straßenraum ist zudem Fähre, Flugzeugträger und Konferenzraum in dem die Sowjetunion mit den USA verhandelt. Er ist kretische Insel, Strand und touristischer Ort. Und er wird zum intimen Raum, wenn darin eine Frau am Tisch nach draußen blickt und dabei in sich selbst hineinhorcht. Wie im Bühnenbild beschränkt sich der Regisseur auch im Kostümbild (Kostüme Yvonne Wallitzer) auf sparsame Zeichen. Dafür setzt er ganz entschieden auf die Gestik und Ausdruckskraft der Sprache und auf die darstellerische Polyvalenz, der die Rollen wechselnden Spielerinnen und Spieler. Ein poetisches Highlight sind die beiden von Luiza Braz Batista vorgetragenen Texte der oben erwähnten Frau am Tisch, in denen die Betrachtung der Landschaft in bester romantischer Tradition zum Seelenspiegel wird.
Bekanntlich wiederholt sich die Geschichte nicht. Was sich wiederholt sind Strukturen, Phänomene und Mechanismen, die wie hier zu Krieg und Zerstörung führen. Gewalt und Machtgier sind in Dannemanns Inszenierung das Kontinuum, das solche feindliche Auseinandersetzungen und Übergriffe bewirkt. Klug beschränkt die Trierer Aufführung das Phänomen der Gewalt nicht auf Kriege. Als latente oder offene Gewalt macht die Inszenierung sie zeitlos und vielerorts erlebbar: in den gewalttätigen Massen, die das Kapitol in Rom oder Washington stürmen, in Mussolinis rachsüchtigen kommunistischen Mördern, in fanatischen Fan-Horden oder als hinterhältiger Brutus, der den siegestrunkenen Römer Cäsar ermordet. Dessen Kranz erinnert gleichermaßen an einen Loorbeerkranz wie an den Strahlenkranz der Freiheitsstatue in New York. Gewalt entlädt sich – wie hier zu sehen – in der Paarbeziehung. Sie ist unterschwellig im vollmundigen Getöne des chauvinistischen Mietwagenfahrers zu vernehmen, dessen Insel-Hopping eine touristische Form der Landnahme ist. Als ein komplexes Geschehen macht der Regisseur Untergang und Zerstörung sichtbar und schärft den Blick für die gemeinsame Substanz im unterschiedlichen Erscheinungsbild. So auch im Fall der Kriegspropaganda, zu deren Pionieren Julius Cäsar gehört, und die sich in ihre Strategien durch nichts von jeder anderen Produktwerbung unterscheidet, einschließlich der Indienstnahme der Medien.
Entschieden wendet sich das Stück gegen die Wahrnehmung des Menschen als ausschließlich kollektives Wesen, wie sie Ideologien und deren Apologeten vertreten. Das Leiden bleibt auch hier immer das des Einzelnen, der es ertragen muss, das kollektive der geschundenen Soldaten wie das der trauernden Witwe. All das wird fesselnd im Wechsel von szenischem Spiel und chorischen Einlagen von den bestens aufgelegten, fabelhaften Schauspielerinnen und Schauspielern verhandelt. Das sind Luiza Braz Batista, Martin Geisen, Manuel Krass, Philippe Thelen und Tamara Theisen. Für die Musik sorgen einfühlsam Anne Kaftan und Manuel Krass. Der Trierer „Untergang“ ist eine gelungene, intelligente und hoffnungsvoll nach vorne blickende Inszenierung, die erhellt wie bewegt, ohne sich je weg von der bildhaften Realität der Kunst auf den pädagogischen Lehrpfad zu verirren. Sie ist zudem ein Aufruf zu Mitmenschlichkeit und Gemeinsinn in einer friedlichen Welt.
Eva-Maria Reuther
Weitere Termine 18.11. 24.11., 7.12., jeweils 19.30 Uhr, 4.12.,18 Uhr Theater Trier, Spielstätte Europäische Kunstakademie, www.theater-trier-de.