OPUS Premierenbericht
Staatstheater Saarbrücken
Mal wieder was anderes
Mozarts „Entführung“ aus einem fernöstlich-asiatischen Serail
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ einen aktuell hochbrisanten Hintergrund hat, immerhin geht es um die Befreiung dreier Menschen, die in einem islamisch-türkischen Palast („Serail“) festgehalten werden. Und natürlich geht es auch um Liebe, versucht doch der junge Spanier Belmonte mit allen Mitteln, seine Geliebte Konstanze dem Imperator Selim Bassa und dessen Aufseher Osmin zu entreißen. Konstanze weilt neben ihrer Zofe Blonde und Diener Pedrillo nämlich schon eine geraume Zeit in des Sultans Serail.
Ganz offensichtlich aber war dem japanischen Regisseur Tomo Sugao diese Hyper-Thematik („Westeuropäer werden aus einem islamisch geprägten Umfeld befreit“) zu heikel – er verlegt die Handlung kurzerhand in eine nicht näher bezeichnete fernöstlich-moderne japanische Welt. Dafür kreiert er als Kulisse eine kühl-moderne Szenerie, vergleichbar mit der Hotelbar eines 5-Sterne-Hotels in Tokio. Und Togo versucht, seiner Werkdeutung noch mehr Farben einer Internationalität einzuhauchen, indem er in die deutschsprachige Fassung Mozarts amerikanische, polnische, chinesische und wienerische Sprachebenen einfließen lässt. Aber am Ende der dreistündigen Oper drängt sich die Frage auf: „Warum das Ganze?“ Der Versuch der Translozierung des Geschehens wäre doch nur dann stimmig, wenn Mozart für sein Singspiel eine zutiefst neutrale Musik geschaffen hätte. Aus dem Orchestergraben ertönt aber unverhohlen und mehrfach seine herrliche, eigens für diese Oper komponierte Janitscharenmusik, also typisch türkische Märsche, instrumentiert mit Trommeln, Becken, Triangel und Schellenbaum. Und Justus Thurau hatte als Dirigent ohnehin keine leichte Aufgabe, war doch dem Ensemble anfänglich noch ein wenig „Premierenfieber“ anzumerken, das zu einigen Abstimmungsproblemen zwischen Graben und Bühne führte. Mozarts Musik verzeiht eben nichts.
Dennoch: im Ensemble zwei Koloratursopranistinnen zu haben, die eine vergleichbare hohe Leistung zeigen und diese den ganzen Abend durchhalten, ist ein Glücksfall: Liudmila Lokaichuk (Konstanze) und Bettina Bauer (Blonde) waren stark beansprucht, spielten sich aber frei und „legten sich ins Zeug“, wenngleich es bei den von Mozart vorgeschriebenen stimmlich extremen Höhen gelegentlich etwas „eng“ wurde. Und auch die Besetzung der beiden Tenöre für die Hauptrollen ist nicht zu beanstanden: Jon Jurgens in der Rolle des Belmonte und Albert Mementi als Pedrillo bewiesen absolute Kondition, beide konnten mit einer von gestählter Zartheit gesegneter Stimme beeindrucken und ließen auch ihre komödiantische Seite durchblitzen. In der Rolle des Osmin war Tapani Plathan zu erleben, ein Bass mit der Körperfigur eines gestandenen Wärters, allerdings mit den Tiefen etwas hadernd. Aber was soll man machen, wenn das versierte Opernpublikum berühmte Opernbässe im Ohr hat, denen der Abstieg bis zum tiefen „D“ keine Mühe machte?
Ein Sonderlob gilt – einmal mehr – dem Team der Abteilung Beleuchtung. Die hier Verantwortlichen schafften es, dem Publikum einen Wohlfühlabend zu bescheren und damit für mancherlei Defizite zu entschädigen. Denn häufig genug war auf der Bühne Stillstand zu beobachten oder „gewollter Aktionismus“. Und leider wirken die eingefügten popkulturellen Referenzen ein wenig wohlfeil, weil sie für den Handlungsstrang eher irrelevant sind. Auch inniges Verweilen war selten zu erleben – bis auf das Quartett der Hauptpersonen in der Schlussszene, wo erstmals so etwas wie ein spiritueller Moment aufblitzte. Mit seiner Inszenierung von Verdis „Il trovatore“ sorgte Tomo Sugao schon 2020 für Aufsehen. Nun aber muss er sich an den kürzlich auf die Saarbrücker Bühne gebrachten Inszenierungen messen lassen: Richard Wagners „Walküre“ etwa spielt sich komplett in einem sterilen Labor ab, und Tschaikowskys „Jungfrau von Orleans“ gleicht gar einer fiktiven Zeitreise. Das ist ungewöhnlich, aber für beide Regieansätze galt ein wichtiger Grundsatz: Konsequenz. Leider konnte Togos Inszenierung in diesem Punkt nicht ganz mithalten. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Saarbrücken mal wieder eine Inszenierung herausbrachte, „über die man reden wird“. Gut so, denn nichts ist für die Kulturszene wichtiger, als im Gespräch zu bleiben. Noch besser wäre es natürlich, es würden Lobeshymnen kolportiert.
Thomas Krämer