Marie Smolka (Child) in Macbeth Underworld am Saarländischen Staatstheater | Foto: Martin Kaufhold
Der Franzose Pascal Dusapin ist zweifelsohne einer der großen Komponisten unserer Zeit. Die Premiere seiner Oper “Macbeth Underworld” am Brüsseler Opernhaus La Monnaie/De Munt im Sommer 2019 wurde von der Fachzeitschrift “Oper! Das Magazin” in der Kategorie “Beste Uraufführung” prämiert. Dem Generalintendanten des Saarländischen Staatstheaters, Bodo Busse, war es gelungen sich die Rechte an der Deutschen Erstaufführung der Oper zu sichern. Am 18. April ging die Oper dort dann erstmals über eine deutsche Bühne.
Neben seiner Verankerung in Architektur und Mathematik und seinen daraus resultierenden rhythmisch hochkomplexen Partituren ist die Verarbeitung literarischer Stoffe stilbildend für Dusapins Schaffen. Mit “Macbeth Underworld” hat er sich dabei Shakespeares großem Königsmythos angenommen. Und ihm doch seinen ganz eigenen Schliff verpasst: Denn bei “Macbeth Underworld” spielt sich die Handlung in der Unterwelt ab, alle Protagonistinnen und Protagonisten sind bereits tot, das Geschehene spiegelt sich nur in ihren Erinnerungen, Visionen und Qualen. Während das Narrativ bei dieser episodischen Komposition in den Hintergrund tritt, schaffen es Dusapin und nicht zuletzt auch das Ensemble des Staatstheaters in dieser Inszenierung den entscheidenden Faktor des Macbeth-Mythos omnipräsent zu halten: Die Abgründe des menschlichen Daseins.
So offenbarte sich in der Premiere vergangenen Sonntag ein Angriff auf den gesunden Menschenverstand. Der Wahnsinn in vielerlei Gestalt. Angefangen bei Paul Zollers Bühnenbild einer unwirtlichen Unterwelt, die im Laufe der Inszenierung mehrmals in Schutt und Asche gelegt wird, bis hin zu den sich in Raserei fortbewegenden Körpern. Doch erst in der Musik schwillt der Wahnsinn zu seinem vollen Volumen an: Das Orchester, das hinter der Szenerie wie aus einem Höllenschlund heraus spielt, wird von dunklen Bläser-Klängen und tieferen Streichinstrumenten dominiert. Immer wieder verliert sich das orchestrale Geflecht in Knarzen und Rasseln, nur um dann wieder mit voller Wucht zurückzukehren und sich in den Dialog mit der Orgel zu begeben, die auch die Klangwelt in eine Endzeitstimmung taucht. In den rhythmisch eigenwilligen Gesangspartien, die von Arioso über Sprechgesang bis zu klagenden Ausrufen reichen, überzeugen vor allem Bariton Peter Schöne als Macbeth und Mezzosopranistin Dshamilja Kaiser als Lady Macbeth durch Genauigkeit und Extravaganz. Die “Weird Sisters”, die prophezeihenden Hexen, gesungen von Maria Carla Pino Cury, Valda Wilson und Carmen Seibel werden stets von einem Opernchor begleitet, der nicht nur als ihr Echo agiert sondern durch den sich die Gesänge gar zu einem wahnsinnigen Sirenengeschrei verdichten. Auch Hiroshi Matsui als Geist, Bettina Maria Bauer als phantomartiges, vielgestaltiges Kind und Algirdas Drevinskas als Wächter der Unterwelt – ein Charakter, den Dusapin Roman Polanskis Macbeth-Verfilmung entnommen hat – überzeugen durch Spitzenleistungen. Am Ende verliert sich dieses vielschichtige Meisterwerk, wie könnte es bei diesem Höllenritt anders sein, in einem Tosen und Schreien.
Isabell Schirra