Der gute Mensch von Sezuan am Theater Trier © Marco Piecuch
In Bert Brechts politischem epischen Theater ist die Welt ordentlich sortiert. Die Bösen, das sind die ausbeuterischen Kapitalisten und als ihre Mini-Ausgabe die geldgierigen Kleinbürger. Die Guten, das sind die Armen. Und wenn die trotzdem böse werden, liegt das an ihren prekären Verhältnissen. Denn erst kommt das Fressen und dann die Moral, wie wir vom selben Autor wissen. Das ist auch so in seinem Bühnenstück „Der gute Mensch von Sezuan“, das jetzt im Theater Trier in der Inszenierung von Christina Gegenbauer Premiere hatte.
Das Stück ist eine Parabel über die Unmöglichkeit der Güte und des Erhalts der moralischen Integrität in einer Welt, in der die Güter derart ungerecht verteilt sind. Es sei denn um den Preis einer Persönlichkeitsspaltung. Das erfährt auch Shen Te. Die Prostituierte wollte sich mit einem kleinen Tabakladen, dessen Kauf ihr das üppige Entgelt ermöglichte, das ihr drei Götter auf der Durchreise für eine Übernachtungsmöglichkeit bezahlt hatten, eine solide Existenz aufbauen. Freilich: mit dem neuen bescheidenen Besitz mehren sich auch die Bittsteller. Als sie von ihrer Hilfsbereitschaft ruiniert zu werden droht, legt sie sich als Alter Ego und Mann fürs Grobe den so genannten Vetter Shui Ta zu. Schwanger und alleinstehend wird sie unter dessen Maske zur wohlhabenden Besitzerin einer Tabakfabrik. An fehlendem Geld war ihre Heirat mit dem geliebten arbeitslosen Piloten Yang Sun gescheitert. Der muss mangels Kapital statt über den Wolken zu fliegen, künftig als Arbeiter in eben jener Tabakfabrik malochen, bis er selbst zum eiskalten Menschenschinder mutiert und aufsteigt.
Aufgehängt hat Brecht seine Parabel am alten Motiv der inkognito reisenden Götter auf der irdischen Herbergssuche. Diesmal sind die drei Herren unterwegs, um einen guten Menschen auszumachen. Den finden sie schließlich in Shen Te, dem „Engel der Vorstadt“. Das Stück, das in der chinesischen Stadt Sezuan dem Titel nach angesiedelt ist, könne überall spielen, wo Menschen ausgebeutet würden, hat Bert Brecht seinerzeit vermerkt. Gegenbauer verzichtet folgerichtig auf jedwede chinesische Folklore. Ihr Sezuan ist allerorts auf der runden weißen Scheibe, die Frank Albert, der auch die gelungenen Kostüme verantwortet, schräg als Welt auf die Bühne gestellt hat, als wäre es die Erdscheibe des Ptolemäus und in der sich die Sterne des Himmels über ihr spiegeln. Ein kleiner Junge mit einem Papierflieger träumt darauf seinen Traum vom Fliegen. Ein hinreißendes Bild, mit dem der Abend beginnt. Gleichwohl: Die Welt ist offensichtlich in Schieflage geraten. Und auch der Flieger-Traum ist bald ausgeträumt. Ebenso wie den Hinweis auf eine explizite Verortung vermeidet Gegenbauer auch jede Tagesaktualität. Allgegenwart leitet sich hier allein aus der Zeitlosigkeit der Parabel als Gleichnis ab. Kräftig verschlankt und auf zwei Stunden zusammengedampft hat die 1988 geborene österreichische Regisseurin die literarische Vorlage. Statt szenischer Opulenz hat sie sich für eine Fassung in Kammerspielqualität entschieden mit sorgfältiger Personenführung und einem klugen, klar strukturierten Umgang mit dem Raum. Der Antagonismus der Verhältnisse bestimmt das Kostümbild. Shen Tes rotem Kleid der Nächsten- und anderen Liebe steht das triste Grau der Armen gegenüber, dazwischen tummeln sich ein paar blassblau aufgebrezelte Kleinbürger.
Trotz des dramaturgischen Liftings bleibt die Struktur des Stücks mit ihrer Mischung aus Text und Musikeinlagen von Paul Dessau erhalten, ebenso wie die Brecht`sche Komik und Poesie. Als Bewerber um Shen Tes Hand kommt der Barbier Shu Fu (Raphael Christoph Grosch) mit seiner großen Schere wie der Schneider aus dem „Struwelpeter“ daher. Und die drei tuntigen Götter (Till Thurner, Stephanie Theiß und ebenfalls Raphael Christoph Grosch), die sich für nichts zuständig fühlen, sehen in ihren goldenen Anzügen aus wie eine Mischung aus Popstar und Thomas Gottschalk in voller Montur. Statt sich um das Elend der Welt zu kümmern, dreschen sie Phrasen. Wenn es hingegen Blütenblätter auf das junge Liebespaar Shen Te und Yang Sun im Lichtkreis regnet, fühlt man sich an Dimitir Gotscheffs legendäre hochpoetische Inszenierung „Immer noch Sturm“ oder an frühe Arbeiten Jette Steckels erinnert. Konterkariert wird solche Traumseligkeit vom Geldschein-Regen aus dem Himmel. In der Rolle der Shen Te bleibt Isa Weiß trotz spitzer Schreie blass und weithin aufs Deklamieren beschränkt. Profil gewinnt sie erst wirklich als Vetter Shui Ta. Dagegen schafft es Giovanni Rupp (der auch singt) als Flieger Yan Sun Sprache und Geste als Ausdruck psychologischer Prozesse eindringlich erfahrbar zu machen. Michael Hiller ist als Wasserträger Wang ein devoter aber ziemlich hilfloser kleiner Trickbetrüger. Die Musikproduktion besorgte Nikolaj Efendi.
Mit ihrer Inszenierung ist Gegenbauer eine frische, unterhaltsame und bis auf das zähe Ende kurzweilige Fassung der Brecht`schen Parabel gelungen, allerdings auch eine recht brave. Das chorische Fazit der Geschichte „Den Vorhang zu und alle Fragen offen“ und die Aufforderung ans Publikum, sich selbst eine Meinung zu bilden, hätte man sich wirkmächtiger frontal von der Bühne gewünscht an Stelle diffuser seitlicher Publikumsbeschallung aus dem Theatersaal. Dem heftig applaudierenden Publikum gefiel`s.
Weitere Termine: 4.10.,14.10., 16.10., jeweils 19.30 Uhr, 23.10.,16 Uhr
Eva-Maria Reuther