Schöne Bilder: Das Ensemble der Nibelungenfestspiele Worms in „Brynhild“ © David Balzer, Nibelungenfestspiele Worms
Gegen jeden Strich bürsten wollte Nico Hofmanns Frauen-Leitungsteam die 21. Ausgabe der Nibelungenfestspiele mit „Brynhild“. Autorin Maria Milisavljevic und Regisseurin Pinar Karabulut wollten der in der Wolle männlichkeitsgefärbten Nibelungengeschichte jeden Anflug von Dominanz des starken Geschlechts austreiben. By the way soll auch noch die aktuelle Identitätsdebatte miterledigt werden: Selten sah man ein so vermeintlich divers besetztes junges Ensemble auf der fliederfarben ausgeschlagenen Bühne vor dem Kaiserdom.
„Brynhild“, im güldenen Kampfanzug verkörpert von der aufstrebenden Filmschauspielerin Lena Urzendowsky, will sich von Beginn an auch gar nicht mehr in das Schlachtengetümmel werfen. Sie propagiert Menschlichkeit und „Make love not war“-Stimmung und schafft es ziemlich schnell, ihren Widerpart Sigurd alias Siegfried von seiner bluttriefenden Helden-Agenda um Drachentod und Landeroberung abzubringen, was man Bekim Lafiti in seiner Interpretation als sensibler, verletzlicher Sigurd auch jederzeit abnimmt. Der hatte schon im eingangs eingespielten Filmspektakel (Susanne Steinmassl) mit der Hollywood-Ikone Ralph Moeller („Gladiator“, „The Tourist“) als Drache das Gegenbild des kraftstrotzenden Muskelprotzes vorgesetzt bekommen. Doch mit dieser konzeptionellen Neufassung der Nibelungengeschichte hat Regisseurin Pinar Karabulut ihr Pulver bereits verschossen. Eine knallige Szene jagt die andere, aber der rote Faden ist nicht zu finden. Wie vom anderen Stern fallen die schrillen Typen, ausstaffiert wie aus fernen Fantasy-Welten von Teresa Vergho, in die Stein-gewordene Wormser-Kaiserdom-Welt ein. Sie prügeln sich in der knallroten, mit riesigen Glasfenstern gestylten Pommes-Bude, heute sagt man Diner dazu, oder quetschen sich in einen mit Flammen-Zungen verzierten Kombi aus der „Manta, Manta“-Welt, diesmal nicht vor der Uni (Vorsicht: Uralt-Scherz!), sondern vor einer modernen Elektro-Ladestation.
Diversity wird abgefeiert, als wären sie bei den Machern der „United-Colours of Benetton“-Werbung in Auftrag gegeben oder entstammten den hochglanzgetrimmten Anti-Rassismus-Kampagnen des Deutschen Fußball-Bundes. Aber was Diversity mit dieser Nibelungengeschichte zu tun hat, geschweige denn, was sie mit den betroffenen Figuren macht, diesen Fragen geht Regisseurin Pinar Karabulut mit ihrer Nibelungenerzählung und den hier nur ausgestellten Charakteren wie Odin (Bless Amada) oder Frigga (Parisa Modani) oder Ruby Commey als „People of Colour-Actrice“ und Darstellerin von Hagen nicht nach. Was sie auf die überdimensionierte Leinwand im Zentrum der von Michaela Flück eingerichteten Bühne bringt, sind hochaufgelöste Bildchen einer schöneren Welt, dem Zuschauer übermittelt per Live-Bild-Übertragung. Kate Lediner und Máté Bredan leisten auch Kilometergeld verdienende Schwerstarbeit und werden dafür auch konsequent unter den Ensemblekräften gelistet. Ihre Bilder wie ihre Präsenz auf der Bühne sind freilich so dominant, dass sie das Geschehen vor Ort bisweilen zur Nebensache machen und manches Bühnenbild gar nicht mehr zur Geltung kommen lassen, um stattdessen Bilder für die Großaufnahme im Live-Bild zu erzeugen. In letzter Konsequenz wäre dann aber auch die Präsentation des Bühnengeschehens als Kinofassung angemessener. Aber das wird der gelernte Filmproduzent Nico Hofmann doch nicht für „seine“ Nibelungenfestspiele als Lösung im Kopf haben!
Burkhard Jellonnek
Weitere Informationen: www.nibelungen-festspiele.de