James Sutherland © Marco Piecuch
Herr Sutherland, am 15. Dezember steht die Uraufführung Ihres Tanzstücks „Sacre“ an, Sie haben sich entschieden, das Ballett von Igor Strawinsky abzuändern, warum?
So würde ich das nicht formulieren, denn eigentlich greife ich das originale Konzept Strawinskys auf, doch kehre ich es um. Strawinskys Ballett basiert auf einem alten slawischen Ritus, bei dem ein junges Mädchen geopfert werden soll – gewissermaßen als Geschenk zurück an die Erde, damit der Frühling kommen kann. Mein Gedanke ging nun einen Schritt weiter: Heute geben wir der Erde nichts zurück, im Gegenteil, wir plündern die Erde aus und verwüsten sie aus Habgier für unseren Wohlstand. Nach dem alten slawischen Ritus kann man sich doch gut vorstellen, dass die Erde zurückschlägt, sich erhebt und uns vernichtet. Statt des einen Menschenopfers im Sinne des Zurückgebens werden vielmehr alle geopfert, wenn die Erde Rache nimmt, wobei dann umgekehrt ein Mensch auserwählt wird, um zu überleben und um die Menschheit weiterzutragen.
Was bedeutet es für Sie, in einem digitalen Zeitalter zu leben?
Wir befinden uns in einer digitalen Entwicklung, eigentlich in einer Revolution, die der industriellen Revolution vergleichbar ist. Die digitale Welt hat die Macht von den Maschinenübernommen, so wie die Maschinen die Macht von den Menschen übernommen hatten. Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ kam 1913 in Paris heraus, ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Dieses Datum markiert den Schlusspunkt einer alten Weltordnung, gleichzeitig gab es nun Raum für neue gesellschaftliche und auch technische Entwicklungen – vielleicht eine unheimliche Parallele.
Inwiefern spielt für Sie Waslaw Nijinski eine Rolle? Werden Sie Ausschnitte aus seiner Choreographie rezipieren?
Natürlich kann es nicht um eine Rekonstruktion der Originalchoreographie gehen. Nijinski folgte dem Konzept der Musik Strawinskys und fand einen Weg diese Stimmungen auszudrücken. Ganz ähnlich werde ich versuchen, auf meine Art dasselbe zu tun.
In meiner Umsetzung werde ich mit Erde und Wasser arbeiten: Erde und Wasser als etwas Heiliges, als Elemente des Ursprungs und des Lebens. Ein Tropfen Wasser schenkt Leben – ein Tsunami nimmt das Leben.
Mit Fridays for Future zeigen immer mehr Menschen, dass Sie unseren Planeten retten wollen. Gibt es da nicht auch noch Hoffnung?
Auf jeden Fall, doch glaube ich, dass wir weniger davon sprechen den Planeten zu retten als unsere Existenz auf diesem Planeten. Also liegt vielleicht doch etwas Wahrheit in dem alten slawischen Aberglauben: Wir müssen umkehren und der Erde etwas zurückgeben.
Margret Scharrer sprach mit James Sutherland, Direktor der Sparte Tanz und Chefchoreograph.
Info: www.pfalztheater.de
Der Beitrag wurde veröffentlicht im OPUS Kulturmagazin 76 (November / Dezember 2019) auf S. 107. Weitere Beiträge zu Theater, Oper und Tanz finden Sie in der Rubrik „Bühne“.