Pauliina Linnosaari als Medea und die Kinder (Marin Gauer und Floria Didié) in Medea // Copyright: Saarländisches Staatstheater
Innere Tragödien
Das Saarländische Staatstheater bringt eine fulminante „Medea“ auf die Bühne
von Friedrich Spangemacher
Die Ouvertüre reißt den Hörer sofort emotional in das zu erwartende Stück, die Tragödien um Medea. Die Musik zeichnet die seelischen Wirren auf, in denen Leidenschaft, unbändiger Hass und unbändige Liebe eingeschlossen sind. Die Ouvertüre: ein Spiel vor dem Spiel, das die Handlung wie durch die Lupe vorwegnimmt, mit der die Zuschauer durch die Gefühlswelten der Protagonisten gejagt werden. Man weiß von Anfang an: gleich wird Dramatisches passieren. Chefdirigent Sébastian Rouland nimmt von Beginn an das ganze Ensemble und die Musik in seine Hand, er führt die Musiker – und vor allem auch die Sänger – zu großen Leistungen und schafft von Anfang bis Ende den großen Bogen.
Medea, sagenhafte Figur, Zauberin, verwickelt in Machtkämpfe, ist in Liebe entbrannt zu Jason, der mit den Argonauten das Goldene Vlies erbeutet hatte. Jason will nun Dircé, die Tochter Kreons heiraten. Medea wütet, sie ist verzweifelt, sie schwört Rache. Als Jason ihr auch die gemeinsamen Kinder entreißen will, bringt Medea Kreon und Dircé mit Hilfe ihrer Zauberkraft um und ermordet aus übersteigerter Eifersucht auch ihre eigenen Kinder.
Wenn sich der Vorhang nach der Ouvertüre öffnet, blickt man in eine leere Bibliothek, die auch Assoziationen zu einem Gefängnis zulässt, mit hohen Regalen, die offensichtlich erst mit Geschichten gefüllt werden müssen. Darauf braucht man nicht lange zu warten. Das Stück zeigt, wie fesselnd die Geschichten um Medea sind. Die Regale zeigen aber auch die geordnete Welt, in deren Innern sich Tragödien abspielen. Erst am Schluss, wenn ein schweres inneres Beben alles zur Auflösung bringt, werden die Regale verschoben und verkeilt.
Die Saarbrücker Medea-Produktion greift neben der Oper von Luigi Cherubini, noch auf die Suite „Medea Senecae“ von Iannis Xenakis für Instrumente und Männerchor zurück, sowie auf das „Medeamaterial“ von Heiner Müller. Und damit sind viele Deutungsebenen auf der Bühne präsent. Faszinierend, dass Medea durch fünf Personen personifiziert wird, durch zwei Sängerinnen, eine Schauspielerin, eine Tänzerin und einen Tänzer, die Medea und ihr zerrissenes Inneres zum Ausdruck bringen. Mit dem Spiel, das die Handlung vorantreibt, mit Gesten, Bewegungen, Tänzen, mit Darstellung im Raum (Menschenskulpturen), mit gesprochenen Texten, Dialogen und vor allem mit der tiefbewegenden Musik von Cherubini, die die Callas einst mit größter Leidenschaft interpretiert hatte.
Vor allem glänzt die Sopranistin Paulina Linnosaari. Alle fünf Medeas sind gleich gekleidet mit dunklem Gewand und buntem Turban, ein Kostüm, das eine gewisse Würde verleiht, das an rituelle Handlungen denken läßt.
Mit dem Stück von Xenakis, der die Lesart des Medea-Mythos des römischen Dichters Seneca einbringt, kommt gegen Schluss der Produktion ein antiker Chor auf die Bühne. Es ist ein Stück, das der gesamten Inszenierung die Krone aufsetzte. Nathan Blair leitete ein hervorragend disponiertes Ensemble und einen ebenso perfekten Männerchor
Als – gewichtiger – Epilog kam dann noch ein Medea-Text von Heiner Müller, tiefgehend und wunderbar vorgetragen von Christian Motter, Schlusslicht nach über drei Stunden Gang durch die Seelengeschichte und die inneren Tragödien der Medea.
Demis Volpi lieferte eine hervorragende Regiearbeit ab. Mit seinen Bühnenchoreogaphien aller Protagonisten brachte er eine weitere Deutungsebene hinein. Der Kampf um die Kinder etwa spielte sich fast ausschließlich in der Personenführung ab. Unübertroffen hat er die fünf Medeas zu einer Einheit wachsen lassen, was jederzeit überzeugte.
Diese Medea ist vielleicht das Größte, was Intendant Bodo Busse bisher auf die Saarbrücker Bühne gebracht hat.