Hair © Honkphoto
Das Musical „Hair“: Es ist immer noch eine entflammende, mitreißende Musik nach fünf Jahrzehnten noch höchst infektiös wie sich jetzt in der Saarbrücker Version zeigte. Es hat das Publikum begeistert, und beim abschließenden „Let the sunshine in“ sang so mancher im Publikum laut mit. Die musikalische Qualität dieser Aufführung war in jedem Moment absolut überzeugend, riss die Zuschauer in einen Sog wie schon vor einem halben Jahrhundert, als das Stück die Welt eroberte.
„Hair“, das war eine Anklage gegen den Vietnamkrieg und ein Plädoyer für das freie, Leben ohne Zwang durch das ‚Establishment‘, ein Plädoyer für die Liebe und die freie persönliche Entfaltung, für die Suche nach einem neuen Sinn. Das Zeitalter des Wassermanns, damals vorausgesagt, ist aber nicht gekommen und so bleiben die zeitlosen Forderungen der jungen enttäuschten Generation bis heute Utopie. „Eigentlich hat sich das Ganze leider ja nie erfüllt“, so eine Zuschauerin.
Intendant Bodo Busse hatte dem Regieteam um Maximilian von Mayenburg aufgegeben, „Hair“ in unsere Zeit zu verpflanzen. Das ist absolut gelungen, ohne jeden Zeigefinger. Das Unterhaltsame blieb immer bestimmend, auch wenn Corona, „Black Lives Matter“, der Klimawandel, „Fridays for Future“ und die üble Geschichte der deutschen Kolonien in Afrika thematisiert wurden. Geblieben aus dem ursprünglichen Stoff ist die Auseinandersetzung mit der konservativen, staubigen Vätergeneration. Wie im Original werden die Bürgersöhne auch auf der Saarbrücker Bühne Hippies mit langen Haaren und besingen Drogen und die Extase sexueller Befreiung. Hier war es wie ein Kult, dieses „Tribal Love-Rock-Musical“, mit einer äußerst stimmigen musikalischen und tänzerischen Leistung. Es waren großartige Stimmen, die fast bis zum Belcanto alles drauf hatten, und vor allem das Deklamatorische, das Laute, gerne pflegten – was hier durchaus passte. Und die Musiker, inmitten der Drehbühne auf einem Hochsitz platziert, waren allesamt überzeugend. Für die Aufführung hatte der musikalische Leiter Achim Schneider die Musik etwas grooviger inszeniert, moderner ausgedeutet, manchmal reduziert, manchmal hat er auf die Kanne gehauen. Bewundernswert die irren Basslinien (Jochen Lauer) im Eingangschor „Aquarius“.
Es war keine hochglanzpolierte und in allen Asekten durchgestylte Aufführung, die man von kommerziellen Musicals etwa von Andrew Lloyd Webber kennt, der sogar die Requisiten auf der Bühne zwingend vorschreibt. Da wirkt jede Aufführung wie aus der Retorte. Nein, hier hat man sich ganz neu an das Stück herangewagt. Die Bühne ist eher spartanisch, mit wenigen Mitteln wurden dort ein Bistro, ein Friseurladen, eine WG-Wohnung oder ein Büroambiente entwickelt. Im Hintergrund der Bühne, auf einem Berg von Paletten, die Band, meistens sichtbar. Die große Vorderbühne war das Tanz-und Spielareal, bei dem man nie das Gefühl hatte, dass hier – wie aber tatsächlich geschehen – die Corona-Abstandsregeln gewahrt wurden. Große sängerische Einzelleistungen wechselten mit den sehr gut einstudierten Chören. Herrlich: der a-capella-Vortrag am Beginn des 2. Aktes.
Es war eine Aufführung, die sicher weit über die Grenzen des Saarlandes und der Großregion Aufsehen erregen will. Unbedingt ansehen!
Friedrich Spangemacher