Foto: Fans von Johnny Depp beim Umbria Jazz Festival © Miriam Sachs
Perugia. Umbria Jazz Festival. Eigentlich ist es das Konzert der Gitarristen-Legände Jeff Beck, aber nach fünf Instrumentalstücken, präzise, energetisch und im Zusammenspiel auf den Punkt, wirken seine rockigen Akkorde wie eine Beschwörungsformel: Erscheine! Und Johnny Depp betritt die Bühne, selbst behängt mit Gitarre und Ketten, das Haar strähnig ins Gesicht gestylt. iPads und Phones und sogar von Fans gemalte Johnny-Portraits schnellen prompt empor, eins davon gar 2 Meter groß! Bevor er zu singen beginnt, nuschelt er eine Widmung ins Mikro. „This is a Song for Miss Hedy Lamarr“, doch die Poesie der Lyrics geht – trotz sonorer Stimme – leider unter. Wer Hedy Lamarr ist, dürfte die überraschend jungen Fans eh kaum interessieren.
„Johnny, I love you!“, schreit eine 16jährige. Später befragt, welches ihr Lieblings-Depp-Film sei, sagt sie, sie kenne „Johnny“ eigentlich nur aus dem Prozess. „War ja auch wie Kino!“
Über die Streitkultur des Johnny Depp wurde viel berichtet: Die Schlammschlacht vor Gericht und auf Youtube über häusliche Gewalt, bzw. das Verleumdungsklage-Hin-und-Her, zwischen Depp und Exfrau Amber Heard endete im Juni weitgehend zu Gunsten Depps, ist aber im Berufungsmodus bereits angekündigt als „to be continued“.
Natürlich haben Verleumdungen zuweilen bedrohliche Ausmaße; Schauprozesse unter Stalin endeten für Verleumdete mit Hinrichtung; Social-Media-Mobbing treibt Teenager in den Suizid. Im Hollywood der Me-Too-Ära bedeuten sie das Karriere-Aus. Und wäre Depps „Showprozess“ gar aus der Feder Heinrich von Kleists, in dessen Stücken die Frage nach Schuld und Unschuld so komplex wie hoffnungslos ist (sein zerbrochner Krug hat jede Menge Me-Too zu bieten und auch in Familie Schroffenstein werden abgehackte Finger als Beweisstücke auf den Tisch gepackt). Johnny würde, wäre er eine Kleist-Figur, nicht weniger rückhaltlos die Hosen herunter lassen: Auch Kläger müssen ihre Unschuld beweisen und verlieren sie, zur Rede gestellt: in sprachlichen Sündenfällen, im Seelen-Striptease so oder so – nicht nur bei Kleist.
DEATH AND RESURRECTION
Die berufliche und pandemische Lockdownzeit, steckte für Depp allerdings voll neuer Kreativität: Als Ruf und Karriere in der Schwebe waren und die Fans zurückhaltender, entstand zusammen mit Jeff Beck eine berührende Aufnahme des Lennon-Songs „Isolation“. Depp kehrte zu seiner „ersten Liebe“ zurück, der Musik. Exil in Italien als Überraschungsgast auf Jeff-Beck-Konzerten – klingt heilsam.
Allerdings begann schon kurz nach dem Urteilsspruch und mit Depps Heilsverkündigung („Diese Jury hat mir mein Leben zurückgegeben!“) der Medienrummel. Die heimlichen Auftritte wurden zum hyperaktiven Marketing-Event in Serie aufgeblasen: zur „Death – and Resurrection-Show“, Nach einem Song der Band Killing Joke, den Depp ebenfalls covert, dem die Schärfe des Originals aber fehlt. Generell wirkt der fahrig am Mikrophon vor sich hinstarrene Depp nicht so als würde er wirklich was zu sagen haben. Begeistert er seine Fans wirklich, oder begeistern sie sich ganz einfach für ihn? – Und versang sich Depp in „Isolation?“ – Irgendwie klang es wie „Defamation“. Absicht oder Freudsche Fehlleistung nach zu vielen Wiedergängen? Selbst Jesus brachte es bisher nur auf Zwei Auftritte – vielleicht der feine Unterschied zwischen Auferstehung und Auferstehungsshow.
Ein berührender Auftakt ist jedoch Depps erster Song: Die Hommage an die einstige Hollywood-Diva Hedy Lamarr handelt von der Grausamkeit des Filmgeschäfts, das Idole erst hoch und heilig spricht wie Ikonen in der Kirche, sie aber fallen und zerschlagen läßt, sobald sie aus dem Rahmen fallen. Hedy Lamarr sei hier ausführlich erwähnt, da die Parallelen, die von Fans (und vielleicht auch von Depp selbst?) zu dessen eigenem Image-Trauma gezogen werden, auf andere Weise treffend sind, als man zunächst denken mag: Zwei Moviestars wurden von Hollywood gehyped und dann nicht mehr. Und?
A SONG FOR MISS HEDY LAMARR
Die Amerikanische Greta Garbo – war gebürtige Wienerin jüdischer Abstammung und galt in den 40er-Jahren als schönste Frau der Welt. 1933 machte sie in dem Film „Ekstase“ durch eine Nacktszene auf sich aufmerksam, und (der Höhepunkt war ihr ins Gesicht geschrieben) ein oragiastisches Close-Up. Exhibitionismus oder sehr persönliche Performance? Lamarr verließ 1937 Österreich und ihren kontrollierenden Ehemann – heute würde man ihn als „abusive“ bezeichnen – floh nach Paris und London und machte Karriere in Hollywood, in erster Linie berühmt für ihr makelloses Gesicht. Dass sie mathematisch hochbegabt war und im 2. Weltkrieg Intelligence-Technik (den Vorreiter von Bluetooth) entwickelte, interessierte wenige. Auch der Song skizziert nur ein Opfer der gnadenlosen Hollywoodmaschinerie, eingesponnen in einen Kokon aus Goldfäden. Das wirkt im Refrain „I don’t believe in Humans anymore“ dann doch sehr larmoyant.
Gegen ihren Fall kämpfte Lamarr vor Gericht (!) und kommentierte später diese Phase ihres Lebens so: „Ich fand mich als Schauspielerin immer am glaubwürdigsten vor Gericht“.
Die erste Anklage wegen Ladendiebstahl ließ sich noch abschmettern. Hedy kam verblüffend unschuldig rüber – möglicherweise glaubte sie wirklich, Dinge, die ihr fehlten, aber zustünden, einfach nehmen zu dürfen. Sie verklagte im Gegenzug die Läden, die sie bestahl wegen Verleumdung und auf Schadensersetz für den Verlust einer Filmrolle – auf Grund der Ladendiebstahl-Klage. Aus ähnlichen Gründen wie Depp, der nicht nur aus der heilen Disneywelt (und dem so-und-sovielten Teil von Fluch der Karibik) verbannt worden war – auch für die Besetzung einer zwilichten Rolle des Harry-Potter-Universums schien Depps Ruf zu angekratzt. Auch wenn Filmschurken inzwischen die interessanteren Helden sind, in echt müssen Sie über alle Zweifel erhaben sein.
Ist das Image erstmal umgeprägt – „a Thief is a thief“, heißt es in Depps Hedy-Lyrics – bleibt nur die Flucht nach vorne. Hedy verausgabte sich persönlich wie finanziell in einem Teufelskreis von Schuldzuweisung, Selbst-Entlastung und Verausgabung. Wie tritt man an die Öffentlickeit, was setzt man dagegen? Auch Lamarr entschloß sich zu „Alles muss raus“ und „Hosen runter“ und veröffentlichte (von ihr autorisierte aber nie gegengelesene) Memoiren, verfasst von einem Ghostwriter. Das führte zu noch mehr Gerichtspräsenz: Klagen der darin erwähnten Stars – und Gegenklagen von Hedy. Insgesamt schaffte sie es auf xyz Gerichtsprozesse.
Was bleibt einem übrig wenn man sich von der Welt zu Unrecht verurteilt fühlt? Man könnte alte Talente entdecken, John Lennon-Songs covern. WIFI weiterentwickeln. Oder eben doch: Klagen. In Johnny Depps Fall: Das Leid ins Mikro. Und bereits einen Tag nach dem Konzert: gegen die italienischen Konzertveranstalter wegen Nicht-Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen: Zu viel tanzende Zuschauer, die nicht auf ihren Plätzen sitzen blieben, und zu viele mit Bildern bewaffnete schienen in Richtung Bühne zu stürmten. Oder zu wenig? Eigentlich war es ganz gesittet zugegangen, tanzende Fans, Mütter mit Kindern; Italien halt. Bereits nach einer Zugabe war Schluss, mehr wurde auch nicht gefordert. Man hat ihn gesehen. Gut is!
Noch besser aber geht es Depp. Zwar scheint der Prozess nochmal aufgerollt und zur Never-Ending Story zu warden. Und auch wenn Depps Grundimage sensibel-schräger Out-Law-On-drugs zwischen den Welten das Gerichtsurteil „Frauenschläger“ nicht verkraftet, hätte – Taumelnder Bad Boy aber, dem Unrecht widerfuhr ….! – das schreit nach Empathiewogen. Nicht nur der Fans, auch der Glamouwelt selbst.
DER SCHMALE GRAT ZWISCHEN “BRUTAL” und “UNGEZÄHMT”
Sogar Dior, für dessen Mänenrduft Sauvage (Französisch „brutal; ungezähmt, wild“) der Schauspieler Aushängeschild war, bis der Konzern im Zuge des Prozesses um häusliche Gewalt die Werbespots lieber auf Eis legte, entdeckten vor einigen Tagen Depp wieder und belohnt seine Siegerpose mit einem neuen Millionenvertrag. Ikonen, die sich daneben benehmen, werden gestürzt. Bei denen aber, die sich wieder aus dem Staub erheben, können selbst noch die angeschlagenen Ecken und Kanten zur Patina erklärt werden. Jedenfalls heutzutage und wenn sie Männer in den besten Jahren sind. Um eine Hedy Lamarr gleichen Alters hätte Dior vermutlich einen Bogen gemacht.
Miriam Sachs
mehr im OPUS Kulturmagazin Nr. 94 (Nov. / Dez. 2022)