Die neuartige Inszenierung von Mozarts „Entführung“ im Merziger Zeltpalast regt zum Nachdenken und zur Diskussion an // Foto: Rolf Ruppenthal
von Kurt Bohr
Das spielfreudige und glänzend eingestellte Ensemble des Merziger Zeitpalasts bietet mit der populären Spieloper von Wolfgang Amadeus Mozart abwechslungsreiche Unterhaltung auf hohem Niveau. Die Engländerin Robyn Allegra Parton brilliert als Konstanze. Sie meistert diese schwierige Partie, insbesondere die anspruchsvollen Koloraturen mit Bravour; sehr anrührend ihr Treuebekenntnis und ihr Aufbegehren gegen das beharrliche Werben von Bassa Selim.
Konstanzes Geliebter, der spanische Edelmann Belmonte, dem sie samt den Bediensteten Blonde und Pedrillo geraubt worden und als Sklavin an den türkischen Hof von Bassa Selim geraten war, wird von dem jungen ungarischen Tenor Gyula Rab verkörpert, der mit seiner schönen schlanken Stimme auch in den Höhen überzeugt.
Die Sopranistin Katharina Borsch ist eine temperamentvolle Blonde, die ihre Rolle stimmlich und gestalterisch souverän gerecht wird. Sie versteht es perfekt, ihren quirligen, stimmsicher agierenden Gefährten Pedrillo, den jugendlichen englischen Tenor Edward Lee zu lenken und den grimmigen Osmin in Schach zu halten, dem sie als Sklavin zugedacht ist. Dieser bärtige Kauz regiert als Majordomus im Haus des Bassas und verfolgt argwöhnisch das Treiben der fremden Christen, wenngleich er sich doch gern von Blonde umgarnen und von Pedrillo mit Wein besäuseln lässt. Der Däne Per Bach Nissen gibt ihn mit viel Spielwitz und körperlichem Einsatz, sein Bass lässt jedoch etwas die diabolische Tiefe vermissen.
Die Inszenierung ist von der durch aus originellen Idee geprägt, die Rolle des Bassa Selim gegenüber der Originalvorlage kräftig auszubauen. In langen Monologen begleitet der stimmlich und darstellerisch vorzüglich agierende Schauspieler Boris Jacoby als Bassa die Handlung. Auf die szenenverbindenden Dialoge des Librettos wird weitgehend verzichtet. Der Clou des von Impresario Joachim Arnold und Regisseur Gergen verantworteten dramaturgischen Konzepts ist die von den Schriftstellern Feridun Zaimoglu und Günter Senkel entworfene Gedankenwelt des Bassa, die seine aufklärerische Haltung spiegelt, die Zwang und Gewalt im Verhältnis der von ihm angebeteten Konstanze ablehnt und schließlich auch zur generösen Freilassung der Fremden führt. Obwohl die ihn durch Flucht hintergehen wollen, aber von dem wachsamen Aufseher Osmin gestellt werden.
Selim breitet nicht nur seine Seelenqualen aus, er hält uns gleichsam auch den Spiegel des ach so hehren christlichen Abendlandes vor, das unter dem Vorwand des Glaubens blutige Kriege führte und auch nicht vor Verbrechen Mord und Totschlag zurückschreckte. Er bringt die Größe auf, ausgerechnet Belmonte ungeschoren ziehen zu lassen, dessen Vater ihn viele Jahre zuvor grausam verfolgt hatte.
Das Bühnenbild es zweckmäßig und schlicht gehalten und kommt mit wenigen Requisiten aus: einem Stuhl und mehreren Fässern, die mal als Sitzfläche dienen, mal (da nur die Fässer) zum Anrempeln der Protagonisten dienen. Eines der Fässer stürzt Bassa Selim ziemlich zu Anfang des Geschehens um; Wasser ergießt sich auf die Bühnenfläche, den Vorhof zu Selims Gemächern, auf den sich die Protagonisten symbolisch auf glitschigem Gelände bewegen.
Das exzellent disponierte Orchester unter Leitung des kompetent und straff dirigierenden jungen Kieler Kapellmeisters Stefan Bone war den Anforderungen der Partitur jederzeit bestens gewachsen. Es musizierte gut sichtbar hinter einer Gitterwand, die den Eingang zum Palast des Bassas markierte.
Nicht leicht getan haben mögen sich vielleicht manche Zuschauer mit dem Regie-Einfall, Bassa Selim über weite Strecken mitten unter den anderen Protagonisten mit sich selbst sprechen zu lassen, obwohl er in Wahrheit nur in Gedanken bei ihnen weilte.
Insgesamt war es eine gelungene Rückkehr zu den Wurzeln des Musiktheaters, das Joachim Arnold und sein Team mit Opern im Hofe der Alten Abtei von Mettlach begonnen hatte.
Weitere Vorstellungen:
7. und 8. September um 20 Uhr sowie am 9. September um 16 Uhr im Zeltpalast Merzig
Tickets, Fotos und Informationen unter www.musik-theater.de