Klamaukige, musikalische Zwischenspiele, fernab des Wedekindschen Stückes mit Thorsten Rodenberg (Moritz Stiefel), Michael Wischniowski (Melchior Gabor), Barbara Krzsoka (Martha) und Laura Trapp (Wendla).
© Foto: Martin Kaufhold (Saarländisches Staatstheater)
Zu Lebzeiten war er der personifizierte Bürgerschreck: Frank Wedekind. Sein Kampf gegen wilhelminische Sexualmoral, gegen die Paukanstalten des Kaiserreichs kulminierte in seiner Kindertragödie „Frühlings Erwachen“, 1896 geschrieben, erst fünfzehn Jahre später uraufgeführt, dann bis in die 1980er Jahre des 20. Jahrhunderts selten gespielt. In Zeiten von „Youporn“ und kompetenzorientierten Lehrplänen an unseren Schulen scheint Wedekinds Anklage heute auf den ersten Blick wie aus der Zeit gefallen. Mitnichten möchte man sagen, denn das Coming Out of Age fällt pubertierenden Jugendlichen heute fast noch schwerer als vor über 100 Jahren, als Büffeln, Pauken und fehlende Sexualpädagogik die Leitlinien vorgaben. Diese Erkenntnis hätte für Regisseurin Magali Tosato und Dramaturgin Simone Kranz der Schlüssel zum Erfolg werden können. Aber sie trauen Wedekind und seiner Wirkmächtigkeit für heute nicht über den Weg. Dabei liegen doch in den Ansätzen der „Fridays for Future“-Bewegung und ihrem Vorwurf an Schule und Gesellschaft, sich mit dem Negieren oder Unterschätzen des Klimawandels an der jüngeren Generation zu versündigen, die Parallelen auf der Hand. Stattdessen streichen die Verantwortlichen fast alle Lehrerszenen und erfinden die Vergewaltigung Wendlas durch ihren Mitschüler Melchior, statt es als das zu belassen, was es war: eine durch Nichtwissen verursachte Schwangerschaft.
Um das Ganze noch absurder werden zu lassen, hampeln und kaspern sich die hier ob solcher Regie-Gags zu bedauernden Schauspieler*innen in wattierten Überwürfen mit aufgemalten Kinderzeichnungen und gebastelten, herumbaumelnden Hühnerfüßen über die an eine Turnanlage erinnernde Bühne. Fremdkörper im Stück, die nichts beitragen zu der Suche der Jugendlichen nach ihrem Platz im Leben, nach ihrem Verhältnis zu ihrem eigenen Körper. Wedekinds Gespür für die Zerbrechlichkeit der heranwachsenden Existenzen, die sich am Ende nicht immer für das Leben entscheiden, die Kraft seiner Sprache, die Hilflosigkeit der Erziehungsratgeber, ist in dieser Kindertragödie kongenial eingefangen und aufbereitet. Leider verfügt das Regieteam nicht über das entsprechende Sensorium.
Das neue Jahr bringt für das von Generalintendant Bodo Busse zusammengestellte Schauspiel-Ensemble am 18. Januar in der Alten Feuerwache mit „Bewegung Kohlhaas“, Schauspiel von Marcel Luxinger, nach dem berühmten Kohlhaas-Stoff und dem von Heinrich von Kleist beschriebenen Rachefeldzug eine interessante Parallele zu den Rechtspopulisten heutiger Tage, die sich von Staat und Politik verraten fühlen. Ganz auf den Publikumsgeschmack zielt dann am 7. Februar 2020 Peter Shaffers Schauspiel mit Musik „Amadeus“ im Großen Haus. Man darf gespannt sein!
Burkhard Jellonnek