Szene aus dem Saarbrücker „Faust“ © Andrea Kemper
von Friedrich Spangemacher
Natürlich kann man die Geschichte von Faust auch so erzählen: Faust geht in Rente, aber die Feier zum 65. Geburtstag gerät zum Volkstribunal durch eindringende Terroristen, die Faust die Verfehlungen seines Lebens als Theaterstück vorführen, mit Waffengewalt versteht sich. Faust, der seine Lebensgeschichte neu geschrieben hatte, darf selbst nicht mehr eingreifen.
Auf der Bühne ist eine Szenerie wie bei Gorki, mit Motiven, die teilweise von Bulgakows „Meister und Margarita“ stammen könnten. Der russische Jungregisseur Vasily Barkhatov entwirft ein lebendes Genrebild, das im Ballsaal spielt, bei dem die Gäste als Geiseln genommen werden, um dem makabren Spiel der teuflischen Banditen unter Führung von Mephistopheles zuzusehen. Ja, man darf Faust aus dieser Perspektive sehen. So ergeben sich ganz neue Einsichten.
Faust hatte in dieser „Saarbrücker Version“ genannten Interpretation Marthe Schwertlein geheiratet und mit ihr zwei Kinder gehabt, Margarethe und Valentin, die im Spiel des Volkstribunals Rollen aus Goethes verruchtem Leben übernehmen müssen. Fausts Tochter Margarethe wird im Verlauf des Spiels Fausts „Gretchen“ immer ähnlicher. Sie erfährt im Spiel mit Abscheu, dass ihr Vater viele Frauen benutzt und sich sogar an Minderjährige herangemacht hatte. Sein bürgerliches späteres Leben war nur Schein und diente dazu das Böse zu vergessen.
Allerdings schlug die Musik Gounods dieser Interpretation immer wieder ein Schnippchen. Von Gewalt ist in der originalen Partitur zum Beispiel wenig zu spüren. Diese Dichotomie kann dazu führen, dass in das makabre Theaterspiel plötzlich echte Gefühle einbrechen, wie beim jungen (bösen) Faustdarsteller in einer Liebesszene.
Das Orchester und die Sänger sind vorzüglich. Ich habe die zweite Aufführung gesehen mit Angelos Samartzis als jungem Faust und Olga Jelinkova als Margarethe, Fausts Tochter. Sie konnten die ganze Gefühlsbreite der Figuren zum Ausdruck bringen. Aber auch die anderen Sänger waren zu loben, Sebastian Rouland führte souverän und mit viel Hingabe durch diese Partitur und baute schon zu Beginn große Spannung auf, selbst wenn nach den einleitenden Akkorden die Musik wegsackt. Ein Besuch dieses „Fausts“ ist zu empfehlen.