Das Ensemble von Albert Herring © Honkphoto
Eines vorweg: der Einstand, das erste Projekt der neu installierten Musiktheaterakademie der Hochschule für Musik Saar und dem Staatstheater Saarbrücken ist phantastisch gelaufen und mit großem Applaus über die Bühne gegangen: Gespielt wurde die lyrische Komödie oder auch die Komische Oper „Albert Herring“, komponiert vom britischen Komponisten Benjamin Britten. Es ist eine phantastische Vorlage für ein größeres Sängerensemble und für ein Kammerorchester von 13 Musikern. Fast durch die ganze Oper ziehen sich größere Ensembleszenen mit allen Arten von Rezitativen, oft nur sehr spärlich begleitet vom Orchester: eine ziemliche Herausforderung für die jungen Sängerinnen und Sänger, die wie die Instrumentalisten alle von der Hochschule stammten. Sie müssen miteinander singen, auch in schwierigen Szenen gesanglich kommunizieren, und das bei einer Musik, die wahrhaftig nichts vom Belcanto hat.
Alle 14 Stimmen haben sich sehr überzeugend geschlagen, waren musikalisch auf dem Punkt und auch emotional ergreifend. Beim zweiten Abend, den ich besuchte, beeindruckte sängerisch vor allem Eunbi Lee als Lady Billows und Jean Philipp Chey als Albert Herring. Bei den schauspielerischen Leistungen ist noch viel Luft nach oben. Wenn der Pfarrer, der Bürgermeister und Chef der Ortspolizei zum ersten Mal auftreten, ist ihre Körperhaltung eher die von Oratoriensängern – was sich übrigens im Laufe der Vorstellung besserte. Überzeugend gespielt war die Rolle von Albert, dessen Wandlung zum selbstbewussten Mann auch in seinem Körperausdruck absolut nachzuvollziehen war. Apropos Wandlung: Es geht in diesem Stück um die Wahl der Maikönigin in einem kleinen englischen Dorf. Da es keine unbescholtenen Mädchen gibt, schlagen der Polizist und Lady Billows, Hüterin über die Tugend des Dorfes, den Lehrling aus dem Gemüsegeschäft, Albert Herring vor, einen einfältigen, unerfahrenen schüchternen jungen Mann. Gleichaltrige Freunde versetzen die Festlimonade mit Rum und Albert Herring taut auf, genießt die Freuden und Exzesse des Alkohols – und in der Saarbrücker Inszenierung auch die Freuden der sexuellen Begegnung – auch wenn das bei Britten nicht angelegt ist.
Brittens Partitur ist bunt, leicht und locker, mit Anleihen beim Tanz, der Kirchenmusik, sie greift Naturtöne auf, zitiert aber auch Volkslieder und den „Tristan“, es gibt eine Gesangsprobe mit der Lehrerin, viel Kontrapunktiges und vieles ist schön ausmusiziert. Jede Gesangsstimme hat ihre Eigenart. Ein Blick in die Partitur zeigt: der Pfarrer singt im Espressivo, die Bäckerstochter singt piangendo, der Bürgermeister marcato ed eroico, Lady Billows brillante, ihre geschäftige Haushälterin con forza, der Polizist pesante, die Schulvorsteherin lamentoso und Alberts Mutter appassionato. Das geht übrigens auch simultan. Großes Lob für Hans-Jörg Neuner von der Hochschule, der die Oper einstudiert hat. Perfekt war auch die musikalische Leitung von Christian Schüller.
Überzeugend die Inszenierung von Katharina Molitor, die in zig Obstkisten, die sich schnell umstellen ließen, auf der Bühne ein Spiel entwickelte, das unmittelbar ankam. Bühnenbild und die Kostüme stammten von Faveola Kett. Da alle Protagonisten ganz in Weiß gekleidet waren, hatte das Spiel damit etwas Künstliches, das aber gefangen nahm.
Ich denke, dass alle Studierenden ihre ‚credit points‘ für diese Produktion mehr als verdient haben; und für die Zusammenarbeit der benachbarten Institutionen am Saarufer dürfte das ein blendender Startschuss gewesen sein.
Friedrich Spangemacher