Foto: v.l. Fabienne (Maryam Zaree), Mo (Dimitrij Schaad), Leyla (Mala Emde) und Tristan (Jonas Dassler) wollen das Experiment Körpertausch wagen © Filmstill: Aus meiner Haut, WalkerWorm
Das Filmfestival Max Ophüls Preis startete am 23.1. mit einem außergewöhnlichen Eröffnungsfilm
Einfach mal in einen anderen Körper schlüpfen? Für Leyla (Mala Emde) und Tristan (Jonas Dassler) soll das eine Paarerfahrung der besonderen Art werden. Über eine Studienfreundin von Leyla haben die beiden von einem Ort erfahren, an dem selbstbestimmt die äußere Hülle des Seins getauscht werden kann. Leyla, die an Depressionen leidet, setzt große Hoffnungen in dieses Experiment, während Tristan eher seiner Freundin zuliebe mitmacht. Doch schließlich ist ausgerechnet er emotional überfordert mit der Erfahrung, im Körper des proletenhaften Mos (Dimitrij Schaad) aufzuwachen und seine Freundin im Körper von dessen Frau Fabienne (Maryam Zaree) wiederzuerkennen, sodass er den Tausch vorzeitig abbricht. Für Leyla, die als Teil des Vierergespanns zur gleichen Zeit den getauschten Körper verlassen muss, bricht eine Welt zusammen. Denn sie hatte in Fabiennes Körper eine neue, bessere Heimat und eine temporäre Flucht aus ihrer Depression gefunden.
Es ist eine unvergleichliche Geschichte, die die Brüder Alex und Dimitrij Schaad mit diesem Film erzählen – schlicht weil es keine Vorbilder dafür gibt. Eine „Science Fiction Liebesgeschichte“ soll es sein, die das wahre Wesen der Liebe einfängt, nicht die Hollywood-Version davon. Und durchaus kann man sich auf Basis dieses dem Magischen Realismus zuzuordnenden Films elementare Fragen über zwischenmenschliche Beziehungen stellen, sofern man bereit ist sich auf das Gedankenexperiment einzulassen. Was ist die Essenz eines Menschen, den wir lieben und kann diese in einen anderen Körper transportiert werden? Wäre man selbst bereit für das Wohlergehen des Partners oder der Partnerin die Körper zu tauschen oder dessen bzw. deren Transformation in einen anderen Körper zu akzeptieren? Und auch über das Thema der Liebe hinaus wird, gerade mit Blick auf die Depression, die Frage thematisiert, ob unser Befinden von unserem Geist ausgeht oder von unserem Körper. „Wir sind, wer wir sind weil wir den Körper haben, den wir haben“, heißt es im Film. Ein philosophischer Ansatz oder eine Anlehnung an die Bestrebungen des sich selbst Identifizierens und von äußeren Zuschreibungen loslösen Wollens unserer Zeit?
Ein schauspielerischer Drahtseilakt
Besonders interessant im Film der Brüder Alex und Dimitrij Schaad ist das Schauspiel. Denn wie soll dem Publikum begreifbar gemacht werden, dass im Körper der Schauspielerin Maryam Zaree, die uns zu Beginn des Films als Fabienne vorgestellt wird, nun der Charakter Leyla steckt? Dies funktioniert zum einen ganz plakativ über die Namen, und zum anderen über ein sogenanntes Totem, ein Schmuckstück, das man als Person mitnimmt, wenn man sich in einen anderen Körper begibt. Trotzdem tragen auch Mimik und Gestik zum Verständnis dieses Rollentauschs auf der Leinwand bei. Bei den männlichen Charakteren funktioniert das sehr eindrücklich – nahezu komödiantisch überzeichnet. Bei der Figur der Leyla ist es schwieriger, da sie ihre anfangs traurige, in sich gekehrte Verfassung in ihrem Körper zurücklässt und aufblüht, sobald sie einen anderen betritt. Im Anschluss an den Film verrät Dimitrij Schaad, dass die Rollen gemeinsam erarbeitet wurden: Welche Formen der Körpersprache können die SchauspielerInnen, die diese Figur spielen werden, gleich gut rüberbringen, was lässt sich spiegeln, welche Merkmale funktionieren nicht?
So anstrengend wie die Erarbeitung des Films (die übrigens 5 Jahre dauerte und 37 Drehbuchfassungen benötigte) klingt, so unzugänglich scheint sie für Teile des Publikums geblieben zu sein. Von „furchtbar“ über „verwirrend“ wurde das Gesehene vom Publikum beschrieben, von einer jungen Zuschauerin hingegen als „erfrischend“. Allerdings fielen diese Urteile nur in privaten Gesprächen nach dem Verlassen des Raumes. Ob es ein gutes Zeichen war, dass es aus dem Publikum weder Kommentare noch Fragen an das auf der Bühne versammelte Filmteam gab? Man hatte sich vermutlich mehr erhofft. Bereits am 2. Februar startet „Aus meiner Haut“, der letztes Jahr den Hamburger Produzentenpreis und 2021 den Queer-Lions Award gewann, in den Deutschen Kinos und muss sich dann vor einem Publikum beweisen, das vermutlich noch weniger auf derartige Experimente vorbereitet ist als die BesucherInnen beim Filmfestival Max Ophüls Preis. Diese haben am Freitag um 19:30 Uhr noch einmal die Möglichkeit „Aus meiner Haut“ im Rahmen des Festivals zu sehen.
Zur Eröffnung – ein politischer Abend
Abgesehen vom Film – was hielt der Abend für sein Publikum in den saarländischen Kinos bereit? Ungewohnt politisch ging es zu auf der Bühne. Sowohl die Saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger als auch Saarbrückens Oberbürgermeister Uwe Conradt betonten auf die Frage nach der politischen Funktion des Kinos dessen Bedeutung im Ergründen und vertiefenden Nachbehandeln weltpolitischen Geschehens. Zugleich ließen sie aber keine Zweifel daran, dass klassische Nachrichten (nicht im Film, sondern in Fernsehen, Radio oder bei Social Media) aufgrund der Masse an Negativität und Krise momentan die Bürgerinnen und Bürger überfordern und lähmen würden. Dem zum Trotz entschieden sich Festivalleiterin Svenja Böttger und ihre beiden Programmchefinnen Carolin Weidner und Theresa Winkler dafür, vor dem Start des Films ein politisches Statement zu platzieren.
Im ersten Schritt wurde aufgrund des nun bereits fast ein Jahr andauernden Kriegs auf das „Ukraine-Special“ des FFMOP hingewiesen. Am Samstag, 28.01. um 16 Uhr, wird die 4-teilige ZDF-Serie „Himmel und Erde“ gezeigt, in der ukrainische Filmschaffende Geschichten von geflüchteten UkrainerInnen in Deutschland erzählen. Das Filmteam wird anwesend sein und im Anschluss an das Screening für ein Gespräch bereitstehen.
Das Statement verlagerte sich sodann auf ein branchenspezifisches Thema, die Nachwuchsförderung. Die sei auch nach dem Höhepunkt der Pandemie kritisch, die Situation vieler Filmschaffender prekär. Dies habe unter anderem zur Folge, dass besonders weibliche und diverse Filmteams noch weniger vertreten seien als ohnehin schon, was sich auch beim Filmfestival Max Ophüls Preis spiegele, so Theresa Winkler. Der Aufruf richtete sich nicht nur an Förderer, sondern auch an das Publikum: Der Hilferuf „Gehen Sie in die Kinos, stärken Sie den Kulturbetrieb, damit wir davon leben können“, erklang an diesem Abend so oder so ähnlich mehr als nur einmal.
Am eindrücklichsten dürfte der dritte und letzte Punkt der politischen Eröffnungsrede gewesen sein. Ein großer Teil des (auffällig jungen und weiblichen) Festival-Teams wurde auf die Bühne gebeten, Protestschilder mit der Aufschrift „Frauen, Leben, Freiheit“ in verschiedenen Sprachen haltend. Auch Namen von im Iran inhaftierten Filmschaffenden waren auf den Plakaten zu lesen. Das Wort ging an die Schauspielerin Pegah Ferydoni, die eine Brandrede zur Lage in ihrem Geburtsland hielt. Wurde im Kinosaal bei den vorherigen Reden noch voller Erwartung auf den Beginn des Filmes getuschelt, so war es bei den ergreifenden Worten plötzlich still – bis der Applaus ertönte, auch in den anderen Sälen des Saarbrücker Cinestar Kinos, in denen die Eröffnung aus dem Nachbarraum via Streaming übertragen wurde.
Die Quintessenz dieses sehr zeitintensiven politischen Auftakts fasste Svenja Böttger zusammen: Auch wenn das Filmfestival Max Ophüls Preis in diesem Jahr wieder von Krisen gebeutelt wurde (dieses Mal nicht die Abstandsgebote und Personalausfälle durch Corona, sondern die enormen Preissteigerungen in vielen mit dem Festival verbundenen Bereichen) und besonders die finanzielle Umsetzung erneut äußerst herausfordernd war, so seien das doch nur kleine Probleme verglichen mit anderen Regionen der Welt, in denen es unmöglich sei die Geschichten zu erzählen, mit denen man als Filmschaffende oder Filmschaffender das Publikum erreichen möchte. Wieso für den Eröffnungsfilm kein politisches Sujet gewählt wurde (im letzten Jahr wies man beispielsweise mit „Everything will change“ von Marten Persiel eindrücklich auf die Klimakrise hin) wirkt vor diesem Hintergrund nicht ganz schlüssig. Vielleicht doch eine stille Zustimmung zur Meinung der politischen Gäste des Abends, dass das Publikum gesättigt sei ob der zahlreichen Hiobsbotschaften des Weltgeschehens. Leichte Kost wurde ihnen mit „Aus meiner Haut“ trotzdem nicht serviert.
Tanja Block