St. Josef ist die Pfarrkirche von St. Ingbert © Jörg Fischer
„Biosphäre findet Stadt“, wirbt ein Plakat am Rathaus von St. Ingbert. Die einzige Mittelstadt des Saarlandes setzt auf ihre grüne Lage in der Natur am Nordrand des Bliesgau. Die „Lauschtour“, ein Spaziergang mit einer Handy-App, beginnt am Rathaus. Das Gebäude ist umgeben von einem Bauerngarten, einer Seltenheit in deutschen Städten. Dort können die St. Ingberter im Sommer die von Kindern angebauten Kräuter, Gemüse und Obstsorten ernten.
Auf der rund eine dreiviertel Stunde dauernden Tour erfährt man auch, dass St. Ingbert die Stadt mit dem größten Waldgebiet im Saarland ist – und vieles mehr. Auf kurzweilige Art führt ein professioneller Rundfunksprecher durch die Stadt. Immer wieder kommen Experten zu Wort, Fotos erscheinen auf der App oder das ganze wird mit Geräuschen unterlegt. Man sollte wegen des Verkehrslärms an manchen Orten den Rat der Betreiber befolgen und einen Kopfhörer mitnehmen.
Neben der Einbettung in den Bliesgau, der nicht zuletzt wegen seiner Stadt-Land-Anbindung von der UN-Kulturorganisation UNESCO vor mehr als zehn Jahren zum Biosphären-Reservat erklärt wurde, führt die Tour zu Gebäuden, die von der bayerischen Geschichte der Stadt zeugen. St. Ingbert gehörte zwischen 1816 und 1920 zum Königreich Bayern. Wie die Stadt als eine der wichtigsten Industriestädte im Königreich boomte, ist am imposanten Bau des ehemaligen Postamts abzulesen. Eine Straße weiter steht das Gebäude der früheren weit kleineren alten Post.
Gleich gegenüber befindet sich die ehemalige, im klassizistischen Stil erbaute Luitpoldschule. Die Sprecherin berichtet von einem kuriosen Ereignis im September 1888. Damals hatte Prinzregent Luitpold seinen Besuch angesagt – allein es fehlte ein geeigneter Saal für den Empfang. Kurzerhand rissen die St. Ingberter ein paar Wände zwischen den Klassenzimmern heraus, um geeigneten Raum zu schaffen.
Dass all diese und weitere Gebäude bis heute erhalten sind, wie in kaum einer anderen deutschen Stadt und nicht im 2. Weltkrieg zerbombt wurden, hat die Stadt unter anderem einem ihrer Bürger zu verdanken. Als 1945 die Amerikaner anrückten, lief der Rechtsanwalt Adolph Rickert mit zwei Mitstreitern den Soldaten mit einer weißen Fahne entgegen, um die Stadt zu übergeben.
In der Fußgängerzone locken Geschäfte zum Kaufen und Schauen und Eisdielen und Cafés zur Einkehr. Natürlich darf das Geburtshaus von Albert Weisgerber nicht fehlen. Der Sohn der Stadt (1878 bis 1915) ist der bekannteste Maler des Saarlands, ein Vertreter der klassischen Moderne und einst Präsident der Münchener Neuen Secession.
Die beiden letzten Stationen des Spaziergangs führen zu zwei zentralen Kirchen der Stadt, St. Engelbert und St. Josef. Die beiden sind Ausdruck von der immensen Bevölkerungsexplosion in der bayerischen Zeit. Ende des 19. Jahrhunderts lebten rund 10.000 Menschen in der Stadt. Da die schlichtere, Mitte des 18. Jahrhunderts gebaute Kirche St. Engelbert sich als zu klein erwies, wurde St. Josef errichtet und 1893 als neue Pfarrkirche geweiht.
Im Anschluss an den Stadtrundgang der Tour lohnt eine kleine Wanderung zum Stiefelfelsen, dem Wahrzeichen der Stadt oder ein Ausflug zur Alten Schmelz. An dem historischen Eisenwerk wurden drei weitere „Lauschtour“-Stationen eingerichtet. Ein Spaziergang von der Innenstadt dorthin dauert etwa 20 Minuten, mit dem Auto ist man in kürzester Zeit da und Parkplätze sind reichlich vorhanden.
Die historischen Gebäude auf dem Gelände künden von der Hochzeit des Industriezeitalters und den Wohn- und Lebensverhältnissen der Arbeiter. Vor dem 1. Weltkrieg arbeiteten bis zu 2.200 Menschen in dem Eisenwerk und produzierten etwa Töpfe und Kanonenkugeln. Zentrales Gebäude ist eine Halle, die wegen ihrer Ausmaße auch „Industriekathedrale“ genannt wird. Heute wird sie für Events wie Konzerte, Modeschauen oder Dinner-Shows genutzt. Denn die Stadt wollte das Industriegelände nicht brachliegen lassen, wie die Sprecherin der Lauschtour erzählt.
Jörg Fischer im OPUS Kulturmagazin Nr. 79 (Mai/Juni 2020) in der Rubrik Entdecken & Genießen