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Es ist wohl ein Glück, wenn es sich die Murnau-Stiftung mit Sitz in Wiesbaden, die einen großen Teil des deutschen Filmerbes verwahrt, zur Aufgabe gemacht hat, dieses Kulturgut, nicht zuletzt in Gestalt einer eigenen DVD-Edition, allgemein zu erschließen. In just dieser Edition ist jüngst, und das wird vielleicht auch den generell Kulturinteressierten aufhorchen lassen, der Streifen Friedemann Bach mit Gustaf Gründgens in der Titelrolle in einer neuen, digital remasterten Fassung erschienen
Um es vorwegzunehmen: Wer sich von dieser Produktion aus dem Jahr 1941 ein tatsachengetreues Biopic des Musikers Wilhelm Friedemann Bach (1710–1784), ältesten Sohnes von Johann Sebastian Bach, erhofft, wird enttäuscht sein. Dies rührt daher, dass der Film sich nicht an einer wissenschaftlich erarbeiteten Biografie Bachs orientiert, sondern mittelbar auf einem erstmals 1858 erschienenen, gleichnamigen Roman des Schriftstellers Albert Emil Brachvogel (1824–1878) fußt. Dieser seinerzeit und bis ins 20. Jahrhundert hinein viel gelesene Roman ist deutlich mehr Dichtung denn Wahrheit. Es wird mithin nur gerecht sein, den Film an seiner eigenen Erdichtung des Friedemann Bach zu messen.
Gleich sein Beginn ist von einer Problematik bestimmt, die ihn leitmotivisch durchzieht. Da ist Friedemann Stellvertreter, wird von seinem Vater (Eugen Klöpfer) nach Dresden entsandt, um ihn dort bei einem musikalischen Wettstreit mit Louis Marchand zu vertreten. Diesen glänzend gewonnen, kommt er in Fühlung mit der ihn bewundernden, tieffühlenden Comtesse Antonia Kollowrat (Leny Marenbach) sowie der leichtlebigen Tänzerin Mariella Fiorini (Camilla Horn). Von dieser zunächst angezogen, erkennt er, dass er ihr mit einem für sie komponierten Nymphenballett die ‚wirkliche‘ Musik geopfert hat. Seine emotionale Zuflucht findet er fortan bei Antonia. Friedemann beginnt noch einmal von vorne, doch Misserfolge begleiten ihn. Beim Vorspiel für eine Organistenstelle in Braunschweig wird von ihm Musik nach Art seines Vaters gefordert. Als er daraufhin eine Komposition seines Vaters für seine eigene ausgibt, nimmt das biografische Unglück seinen Lauf. Da das Scheitern am Vater auch heute noch als ein möglicher Faktor im Leben Friedemann Bachs angenommen wird, verdient der Film vielleicht im höheren Sinn das Prädikat ‚historisch‘.
Jedenfalls ist Gustaf Gründgens als Friedemann Bach einfach großartig. Er sitzt, und das ist zentral, höchst glaubwürdig am Klavier oder an der Orgel, vermag es überzeugend, den genialen Tonkünstler auch in seiner Emotionalität darzustellen. Der zeittypisch-wohltemperierte Augenaufschlag nach der vollbrachten großen Tat, die der tief empfundenen Liebe inhärente Mimik und Gestik: Alles ist auf den Punkt gebracht. Gründgens erreicht hier beinahe ganz die Strahlkraft seiner Interpretation des Pariser Komödianten Debureau, den er bereits 1938 unter der Regie von Hans Steinhoff im Film Tanz auf dem Vulkan gegeben hatte. Die weiteren Figuren werden von profilierten Schauspielern ihrer Zeit verkörpert, die dem 18. Jahrhundert treffendes Leben einhauchen. Zudem hat es Kamera-Routinier Walter Pindter mit einem Gefühl für subtile Lichteffekte verstanden, die in ihrer Ausgewogenheit offenbar stringent durchdachten Bildkompositionen einzufangen. Hervorhebung verdient auch seine Fotografie eines Kircheninneren. Die Musik stiftet sodann nicht allein die atmosphärische Grundlage, sondern ist als eigener Kunstgegenstand im Film platziert. All dies wird unprätentiös zusammengehalten vom Regiedebütanten Traugott Müller und Gründgens, der für die künstlerische Oberleitung verantwortlich zeichnet. Insgesamt betrachtet, handelt es sich um ein ansehnliches Melodram auf der Höhe seiner Zeit, das eine herausragende schauspielerische Einzelleistung aufweist.
Da der Film aus einer höchst problematischen Zeit stammt, noch ein Wort zu seiner geschichtlichen Einordnung. Friedemann Bach steht in einer Reihe von biografischen Filmen über bedeutende Deutsche (unter anderen: Friedrich Schiller, Bismarck oder Rudolf Diesel), die vor allem im NS-Kino der Kriegsjahre zum Zuge kamen. Dies war aber nicht immer begleitet vom Wohlwollen des inoffiziellen Filmministers Goebbels, der eine Überrepräsentanz des Genres befürchtete. Was diesen Typus von Film prägt, ist die Verkörperung von „Genie, Eigensinn, Unbeirrbarkeit und kompromisslosem Glauben an die eigene Mission“ durch den Protagonisten (Felix Moeller). Dennoch eignet Friedemann Bach eine gewisse Ambiguität: Wegen seines irreversiblen biografischen Knicks kann der Musiker als vollgültige Leitfigur im Sinne der NS-Ära nicht in Betracht kommen. Dieser Umstand dürfte sich bereits dem zeitgenössischen Publikum erschlossen haben.
Zur Edition: Das Bild (Format 1:1,37) des von der Murnau-Stiftung gemeinsam mit LEONINE herausgebrachten Filmes ist meist scharf, der Ton (DD 2.0 Mono) ist gut verständlich. Allerdings kann das Digitalisat, da auf eine Restaurierung verzichtet wurde, das Alter des Filmes und die damit verbundenen Abnutzungserscheinungen des Ausgangsmaterials nicht verleugnen. Dies stellt womöglich für einen heutigen Rezipienten eine Herausforderung dar. Ein informatives Booklet mit einem Text von Anne Siegmayer, Untertitel für Hörgeschädigte und Audiodeskription tragen aber zur allseitigen Erschließbarkeit des Streifens bei. Der Film ist zeitgleich auch auf Blu-ray erschienen, dieser Rezension liegt jedoch die DVD zugrunde.
Oliver Siebisch