Michael Siemon // Copyright: Andrea Kremper
Hochspannung im Saarländischen Staatstheater
Erich Wolfgang Korngolds Oper „Die tote Stadt“ hatte Premiere
von Friedrich Spangemacher
Zweieinhalb Stunden Hochspannung, voll von innerer Dramatik: Die Neuinszenierung von Erich Wolfgang Korngolds Oper „Die Tote Stadt“ am Saarländischen Staatstheater war ein besonderes Erlebnis. Die Jubelschreie am Ende zeigten, dass dieses Stück das Publikum nicht nur erreicht, sondern auch fasziniert und getroffen hatte Es ist eine Geschichte von Treue bis übers Grab, eine Geschichte von Verführung, von Illusionen, von der Suche nach Nähe und schließlich auch eine Geschichte, die tödlich endet. Paul hatte seine innig geliebte Frau Marie verloren und ihr einen Schrein der Erinnerung („Kirche des Gewesenen“t, wie Korngold sagt) errichtet. In diesem Schrein soll die Tote durch Erinnerungstücke, Devotionalien und Reliquien in Erinnerung bleiben. Die Tänzerin Marietta, die der verstorbenen Marie aufs Haar gleicht, wird Paul nun in Versuchung führen. Sie will mit ihm eine neue Beziehung aufbauen. Voller Zweifel und gebannt von der Treue zu Marie, erwürgt er schließlich Marietta, als sie den Zopf Maries verhöhnt und verlangt, ihr ganz zu gehören. Doch das alles, so stellt sich heraus, war nur ein Traum – der aber Wirkung zeigt, denn am Ende verläßt Paul mit seinem Freund Frank den Schrein und schreitet ins Leben. Die Beziehung zu Marie muss zuvor schon ambivalent gewesen sein, wie der Psychologe Erwin Ringel anmerkte. „Der Text läßt den Schluss zu, dass seine Beziehung zu Marie rein geistig, seelisch war, es war eine Liebe ohne Sexualität. Nun will er Liebe seelisch und sexuell nachholen. Aber daraus wird bloss Sexualität ohne Liebe“.
Gebannt sitzt der Zuschauer vor dem imposanten Bühnenbild, links und rechts mit haushohen Regalen, die die Erinnerungsstücke aufbewahren. Im Vordergrund angedeutet wird ein Salon und das ehemals gemeinsame Schlafzimmer samt einer lebensgrossen Stoffpuppe als Ersatz für Marie. Hier zeigt sich, wie eingekerkert Paul in der Depression des Verlustes ist. Auch wenn die Handlung in ein Varieté wechselt, bleiben die Außenwände dieses Schreins stehen. Der Protagonist kann – so ist gedacht – seinem selbsterschaffenen ‚toten Leben‘ in einer Toten Stadt – hier Brügge – nicht entkommen. Im Altar ist Maries Haarzopf ausgestellt, dann entsteigt diesem Altar die heilige Maria, später wird er zur Bühne des Pierrot und Marietta.
Überragend die Musik: Und das war ein phantastischer Einstand für den jungen Justus Thorau am Pult des Staatstheaterorchesters. Die Dichte und Kohärenz der Aufführung gingen auf sein Konto. Selten sind Stimmen und Orchesterparts so verwoben wir hier, oft im Unisono, in schwierigsten Parts. Es gibt keine Ouvertüre und die instrumentalen Teile sind rar, aber eine Traumsequenz treibt Thorau wie in einem Hitchcock-Film. Bessser hätte der 31jährige den Beginn seiner Saarbrücker Ära sich nicht vorstellen können. Die Oper, 1920 uraufgeführt, hat musikalisch viel Zeitbezug, die Musik setzt bei Mahler und Schrekeran, findet aber eine ganz eigene Sprache von der häufigen Doppelbedeutung der Tonarten bis hin zur Clusterbildung. Die erotisch gefärbten Teile sind umwerfend, was erstaunlich ist, denn nach seinem Biograph Guy Wagner hatte der damals 23jährige noch keine sexuelle Erfahrung Für die beiden Hauptdarsteller. Michael Siemon als Paul und Pauliina Linnosaari als Marie/Marietta war diese Oper eine „Tour de force“, die sie mit großer Bravour gemeistert haben. Sie sind fast durchgehend auf der Bühne. Die Stimmungsschwankungen von Paul kamen ebenso gut über die Rampe wie die Rollentrennungen von Marie, Marietta und der heiligen Maria, denen Linnosaari ganz unterschiedliche Charaktere gab. Korngold hatte verlangt, die Stimmen müssten eine Mischung sein zwischen „verdi’schem Cantabile und wagnerischer Deklamation“. Aber auch Peter Schöne als Pauls Freund Frank und Judith Braun als Haushältern Brigitta sind sehr gut. Wenn Brigitta am Beginn der Oper auftritt, versteht man jedes Wort mit ihrer klaren Artikulation.
Regie führte der Götz-Friedrich-Schüler Aron Stiehl. Er blieb in den Soloszenen sehr statisch – wie auch die Figuren um ihn herum; es waren erstarrte Bilder, aus eben einer toten Stadt. Bei der Szene der Schauspieler und Tänzer, die „Robert der Teufel“ probten und bei den Auftritten der Harlequine bleibt auch die Strenge ein Merkmal, keine echte Ausgelassenheit, die sich vielleicht anböte.
Die Kostüme von Sven Bindsell sind etwas fürs Auge, die Nonnen als laszive Figuren, die Harlequins mit Bischofshüten, herrlich in der Choreographie. Allenfalls das gelbe Kleid der Marietta hätte man sich etwas lasziver vorstellen können.
Ohne Einschränkung: Ein „Must have seen“.
Angelika says
Ich habe die Aufführung gestern gesehen, mein hauptsächlicher Kritikpunkt war der Darsteller des Paul, Michael Siemon, der mich nicht überzeugte, ich fand seine Stimme schwach, manchmal war er gut zu hören, manchmal ging seine Stimme auch im Orchesterklang unter, das haben auch Sitznachbarn so empfunden. Sonst war die Aufführung gut, auch wenn ich die guten Kritiken nicht ganz verstehe.