Szene aus „Marx`Bankett“ am Theater Trier, im Vordergrund Robin Jentys als Karl Marx // Copyright: Marco Piecuch
Folklore statt Erkenntnis
Wenig Erhellendes bot die Uraufführung von Joshua Sobols Marx‘ Bankett im Theater Trier
von Eva-Maria Reuther
Christus kam nach Carlo Levi bekanntlich nur bis Eboli. Weshalb der italienische Süden noch heute auf sein Heil wartet. Karl Marx schaffte es immerhin von Trier bis London. Genesen konnten an seinem Wesen dennoch weder die westliche noch die östliche Welt, was manch einer voreilig versprochen hatte. Im Theater Trier endet „Marx` Bankett“ dann auch recht abrupt nach der Ankunft des Einunddreißigjährigen in der britischen Hauptstadt. Von seiner gewaltigen Arbeit am unverändert aktuellen „Kapital“ im Londoner Exil oder seinen politischen Aktivitäten, erfährt das Publikum kaum etwas, ebenso wenig wie von der Dialektik seines im Wortsinn kränkelnden Lebens zwischen scharfsinniger visionärer Ideenlage und weithin erbärmlicher bürgerlicher Erdenexistenz. Doch der Reihe nach: Als Beitrag zum Karl Marx Jahr hatte das Theater beim renommierten Berliner Dramatiker Joshua Sobol ein Theaterstück zu Triers prominentem Sohn in Auftrag gegeben. Der Autor von „Ghetto“ und „Weiningers Nacht“ entschied sich für ein „Bankett“ im Sinne des französischen „Banquet républicain“, eine als Gastmahl getarnte politische Versammlung der widerständigen Republikaner zu Zeiten der Restauration. Mit der Uraufführung gab zur Spielzeiteröffnung Triers neuer Intendant Manfred Langner im Haus am Augustinerhof sein Debut als inszenierender Intendant. „Wozu Marx“ fragt Langner im Programmheft. Eine Frage, die man nicht oft genug stellen kann, schon gar im Dschungel des aktuellen Marx Hypes. Sie zu klären, ist ein Bankett tatsächlich ein ideales Format, allerdings auch eine dramaturgische Steilvorlage. Zu steil, wie sich bei der Premiere in Trier herausstellte. Statt aus den Gegebenheiten des Banketts szenische Auflösung und Bildsprache schlüssig abzuleiten, kann sich das Stück nicht entscheiden, was es ist und was es will. Heraus kommt dabei eine biografisch szenische Collage mit Musikeinlagen, die sich weitgehend in Marx Folklore erschöpft. Das alles in einem Bühnenrealismus, den man üblicherweise beim Volkstheater verortet. Garniert wird das Ganze mit ein paar zeitgenössischen Stilmitteln. So wird der Zuschauerraum bespielt, und gelegentlich treten die Spieler aus ihrer Rollenperson zurück in die eigene Identität und machen das Geschehen als Spiel sichtbar. Ein paar aktuelle Bezüge gibt es auch noch. Die AfD kommt vor und der touristische Marx Nippes vom T-Shirt bis zur Marx Ente ( gibt es dann alles in der Pause an einem Stand im Foyer zu kaufen). All das unter den Augen von Karl Marx. Der steht als Übervater will heißen als Statue im XXL Format, deren Kopf unsichtbar in den Bühnenhimmel ragt, vor der Trierer Stadtkulisse (übrigens weit präsenter als das fünf Meter hohe Original hinter dem Stadtmuseum). Vorn verweist ein Transparent auf das „Banquet Chateau rouge“ zu seinen Füßen (Bühnen-und Kostümbild: Beate Zoff). Um Marx Beine wuseln wie weiland die Liliputaner um Goliath, Martin Geisen als Ökonom Thomas Piketty und Stephanie Theiß als Bestseller Autorin Ayn Rand, passend mit Hund Rockefeller, der genauso verschwindet, wie andernorts das Kapital. Als Vorspiel auf dem Theater liefern sich Libertarismus Vertreterin Rand und Kapitalismus Kritiker Piketty ein erbittertes Wortgefecht. (Wäre mal zu klären, warum Kapitalistinnen immer Perlenketten und High Heels tragen und Marx Anhänger wie von Astrid Lindgren aussehen.) Dann geht es zu Tisch. Marx Zeitgenossen kommen hinzu darunter seine Frau Jenny, der fromme Frühsozialist Wilhelm Weitling, der Marx Chef und Mitbegründer der Rheinischen Zeitung, Moses Hess, sowie dessen Frau Sybille Pesch. Goethe wird bemüht und der grüblerische Hamlet, dessen Selbstzweifel allerdings wenig mit Marx zu tun haben. Die Tischgesellschaft löst sich schnell auf. Ab geht es durch die Biografie. Marx soziale Sensibilität wird schon im Abituraufsatz deutlich. Zu Wort kommt der widerständige Journalist, der Pressefreiheit fordert, und natürlich ist Hegels Dialektik Thema, die den jungen Marx beschäftigte und stark beeinflusste. Eine der schönsten Szenen, wenn Marx seiner geliebten Jenny Hegels Weltverständnis mittels Feuerholzbedarf erklärt. Friedrich Engels tritt auf und Marx Dichterfreund Heinrich Heine. So richtig griffig wird es, wenn die Arbeiter marschieren und der Theaternebel die geforderte „soziale Gerechtigkeit“ in dichte Schwaden hüllt oder Marx Familie im Zug nach Brüssel ruckelt. Folklore einschließlich Karl-Marx-Revival Band auch bei den musikalischen Einlagen, vom Schtetl Feeling, über deutsches Liedgut bis zur Marschmusik. „Ciao bella ciao“, erklingt das alte Lied der italienischen Partisanen, zu dem auch die Rote Armee gern marschierte. Problematisch wird es, wenn das Ensemble „Die Gedanken sind frei“ als „deutsches Freiheitslied“ intoniert. Schließlich handelt es sich bei dem biedermeierlichen Text um eine arg domestizierte Freiheit. „Ich denke , was ich will“ , triumphiert die zweite Strophe, und schränkt gleich ein: „doch alles in der Still und wie es sich schicket“. Wohl kaum das , was Karl Marx unter Freiheit verstand. Engagiert, aber spielerisch weithin schwach, präsentiert sich das Ensemble, das Regisseur Langner fast vollständig eingesetzt hat. Der herausragende Spieler des Abends bleibt Robin Jentys. Als junger Marx verkörpert der 1992 geborene Schauspieler gleichsam selbstverständlich und mit anrührender Beseeltheit, den idealistischen, sozial empfindsamen Abkömmling jenes gebildeten Bürgertums, das er zeitlebens nicht hinter sich lässt. Völlig verzeichnet ist die Figur Heinrich Heines (Gideon Rapp). In Trier eine Verschnitt aus Dandy und Reinhard Mey, dessen ungelenke „Weber“ Rezitation einmal mehr zeigt, dass der Vortrag von Lyrik zum Tückischsten gehört. Dem extrem blassen Paul Behrens nimmt man als Friedrich Engels nicht mal den reichen Kümmerer ab, geschweige denn den Marx Co-Autor und Mitstreiter. Eine solide lebenspraktische Jenny von Westphalen gibt Marsha Zimmermann. Viel zu harmlos ist dagegen die tapfere Genossin Sybille Pesch (Anna Pircher) geraten. Erhellendes ist bei dieser Uraufführung nicht zu erfahren. Dass Karl Marx ein scharfsinniger Analyst und Kapitalismuskritiker war, sogar ein Visionär, angesichts postmoderner kapitalistischer Auswüchse ist hinlänglich bekannt. Prekärer ist schon die Frage, wo in seinem Werk die Funken fliegen, aus denen die kommunistischen Diktaturen ihre Feuer entfachten. Mit der hier einmal mehr als Missverständnis abgetanen ideologischen Marx`schen Wirkmacht ist es nicht getan. Derart wird man auch keinesfalls dem Mann gerecht, der im Kommunistischen Manifest ( übrigens ein Auftragswerk des Bundes der Kommunisten) gemeinsam mit seinem Freund Engels bereits die Reihenfolge der Revolutionen festlegte und in seiner Auseinandersetzung mit Hegel formuliert: „Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muss gestürzt werden durch materielle Gewalt“. Und als wär`s moderne Massenpsychologie, fährt er fort: „Allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift“. Keine Frage: Karl Marx ist zurück in Trier. Wenn er am Ende aus dem Off in Trierer Mundart reimt, wird`s richtig heimelig.
Weitere Termine:
7.10., 14.11., 30.11., 4.01. und 12.02. (jeweils 19.30 Uhr)
sowie am 21.10.2018 um 16 Uhr.