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Aus dem Leben eines Matinee-Abonnenten

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Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern (DRP) 2023 beim Konzert in der Alten Schmelz, St. Ingbert © DRP, Foto: Jean Laffitau

Ein Mensch beschließt, der sonstigen kulturellen Ödnis zu entkommen und ersteht ein Abonnement des Radio-Sinfonieorchesters Saarbrücken, dessen Qualität ihm aus Radiosendungen bekannt ist. Er wundert sich, wie leicht ihm das Abonnieren gelingt. Bei der Qualität des Orchesters, welches im weiten Umkreis seinesgleichen sucht, hatte er eine jahrelange Wartezeit einkalkuliert. Allerdings findet er sich bei der ersten Matinee im Rücken der Kontrabassgruppe wieder. Er bewundert die eleganten Bewegungen und den wunderbar homogenen Klang dieser Gruppe, genießt auch die eleganten Dirigate von Marcello Viotti, hätte aber doch gern mehr vom Rest des Orchesters gesehen und gehört. Also arbeitet er sich Saison für Saison weiter in die Mitte des Parketts vor.

Weil in den ersten Reihen der Orchesterklang noch nicht so recht verschmilzt, abonniert er weiter hinten liegende Plätze. Dort hat er dank großen Wuchses einen vollen Überblick über das ganze Orchester, kann die wunderbaren Konzertmeister und die exzellenten Solisten an den Blasinstrumenten genießen, freut sich über die mit großer Konstanz und Qualität ihr Werk tuenden Oboisten Stolzenberger und Klarinettisten Müller-van Recum, sieht den Chefdirigenten Michael Stern kommen und scheitern, begrüßt den neuen Chefdirigenten Günter Herbig, freut sich über den Zugang Guilhaume Santana am Fagott und trauert einige Zeit später wieder über dessen Weggang, beklagt den Verlust an der Flöte, freut sich aber am ästhetisch und musikalisch äquivalenten Ersatz nach der Verschmelzung mit dem qualitativ nicht überall überzeugenden Orchester aus Kaiserslautern. Während er sich auf die Empore hocharbeitet, trauert er dem Hornsolisten nach, der, vom Orchester beurlaubt, in Peking den Aufbau eines nationalen Sinfonieorchesters betreut, überzeugt sich bei einem Konzert im dortigen National Center for the Performing Arts davon, dass diese Aufgabe nicht den Einsatz bei den verpassten Konzertmatineen wert war. Zur Zeit der Verschmelzung der Saarbrücker und Kaiserlauterer Orchester unter Christoph Poppen hat er sich schließlich auf die Empore Mitte verbessert. Im letzten Drittel seines Lebens hat er eines seiner wichtigsten Ziele erreicht, ein garantierter Platz auf der Empore Mitte.

Dann eines Tages der Schock! Ein Abonnent, der nach einer mindestens ebenso langen Vorgeschichte schließlich auf der Empore Mitte angelangt war, fällt in der Pause nach dem 1. Satz des 2. Klavierkonzerts von Rachmaninow aus seinem mühsam ergatterten Abonnentensitz, man weiß nicht, ob wegen Kreislaufschwäche oder wegen der begeisternden Performance von Bernd Glemser. Das Erste-Hilfe-Team, in orangeroten Anzügen mit monströsen Rucksack-Apotheken ausgestattet, kommt dem schwächelnden Alten zur Hilfe. Statt ihn hinauszuleiten, beginnen sie mit ihm ein lautes Gespräch. Das bringt den Dirigenten in Schwierigkeiten. Er kann das Geschehen nicht sehen, ist sichtlich irritiert und weiß nicht, wie er fortfahren soll. Die Erste-Hilfe-Damen, voller Empathie, fühlen sich intuitiv in seine Lage ein und geben ihm eine Empfehlung: „Ei, spille se ruhisch e bissche!“

Reinhard Wilhelm im OPUS Kulturmagazin Nr. 96 (März / April 2023)

Filed Under: Kulturleben

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