Bild: Loie Fuller, Folies Bergere, Plakat von Jean de Paleologu (1897) © gemeinfrei
Die Anfänge
Als um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Elektrizität Einzug in das alltägliche Leben hielt und elektrisches Licht als Symbol für Fortschritt und Modernität galt, begannen auch Künstler und Künstlerinnen der Avantgarde, sich gestalterisch mit der neuen Technik zu befassen.
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts sorgte die amerikanische Tänzerin Loïe Fuller für Aufsehen, als sie im Pariser Varietétheater Folies Bergère ihren „Lichttanz“ aufführte. Sie selbst sprach davon, dass sie Licht forme. Ihr Kostüm bestand aus einem übergroßen Umhang, den sie mit Aluminiumstäben, die wie verlängerte Arme wirkten, bewegen konnte. Während ein Strahler sie anleuchtete, erschuf sie im Tanz temporäre Lichtkörper. Arbeitete Fuller mit dem Licht in Bewegung, so fügte der Architekt Bruno Taut es anlässlich der ersten Werkbundausstellung 1914 in Köln in eine feste Form: mittels eines kuppelförmigen Glashauses. Faszinierend wirkte hier der Wechsel von natürlichem Licht bei Tag und künstlichem Licht bei Nacht, der die unterschiedlichsten Farbstimmungen erzeugte.
Pionier Moholy-Nagy
Als einer der Pioniere der Lichtkunst gilt der 1885 in Ungarn geborene und 1946 in Chicago verstorbene Künstler László Moholy-Nagy. Den Gedanken, dass man Licht als künstlerisches Gestaltungsmittel einsetzen könne, äußerte Moholy-Nagy schon 1917 in einem Gedicht mit dem Titel „Lichtvisionen“. Den Weg „vom Pigment zum Licht“ verfolgte er dann konsequent weiter. Ab 1922 entstand sein „Licht-Raum-Modulator“, den er erstmals 1930 auf der Pariser Werkbundausstellung präsentierte und der heute als eines der Hauptwerke der Lichtkunst gilt. Es handelt sich um ein kompliziert anmutendes metallisches Gebilde aus offenen Rahmen und teils durchbohrten Platten, die von elektrischem Licht in wechselnden Farben angeleuchtet werden. Da er sich stetig um seine eigene Achse dreht, wird das Licht in den abgedunkelten Raum gespiegelt und es entstehen abwechslungsreiche Schattenbilder an den umgebenden Wänden. Körper und Bewegung verlebendigen das Licht, und umgekehrt versetzt das Licht den Raum und den Körper in Vibration, scheinen sie auflösen zu wollen.
ZERO
Als Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker 1958 die Stunde null in der Kunst ausriefen, spielten Bewegung und Licht für sie eine wesentliche Rolle. Die ZERO-Bewegung wurde vor allem durch den italienischen Künstler Lucio Fontana beeinflusst, der einen dynamischen Werkbegriff vertrat und ihn nicht zuletzt in Lichträumen realisierte. Durch ihn inspiriert, schufen die jungen Düsseldorfer Künstler unzählige Objekte, die mit Licht arbeiten und teils auch selbst in Bewegung sind: Pienes Lichtballette, Macks Lichtstelen und Ueckers für ihn bis heute typischen Nagelbilder, die auf den Wechsel von Licht und Schatten abheben.
Neonröhren und Lichträume
Ab den 1960er Jahren zählen Leuchtstoffröhren zu den beliebtesten Gestaltungselementen der Kunst. Bahnbrechend wirkte insbesondere der amerikanische Künstler Dan Flavin, der bereits seit 1961 mit elektrischem Licht arbeitete. Im Mai 1963 montierte er eine gewöhnliche Leuchtstoffröhre mit einer Länge von 244 cm diagonal an seiner Atelierwand und es entstand das Werk „Die Diagonale vom 25. Mai 1963 (für Constantin Brancusi)“. Mit der Widmung an den rumänischen Bildhauer, dessen großes Anliegen die Neudefinition der physischen Grenzen von Skulptur war, machte er deutlich, dass er Licht als plastisches Material verstand, das – seinerseits beliebig formbar – den Raum modellieren kann.
Verwendete Flavin handelsübliche Leuchtstoffröhren, so machten andere Künstler seiner Generation es sich zunutze, dass sie sich grundsätzlich in jede Form biegen lassen – und bezogen sich damit auf die Technik und die Ästhetik der Werbung in den Großstädten. Bruce Nauman beispielsweise schrieb in Neon das vieldeutige Credo: „The true artist helps the world by revealing mystic truths“. Und Mario Merz, einer der Protagonisten der Arte Povera in Italien, stellte in seinen Arbeiten mit Hilfe von Leuchtstoffröhren die Folge der Fibonacci-Zahlen dar: das suggestive Bild einer rapiden Progression.
Der Amerikaner James Turrell hingegen schafft atmosphärisch wirkende Lichträume, die die gegebene Architektur etwa einer Galerie oder eines Museums entmaterialisieren und entgrenzen. Wer sich mit dem Körper in sie hineintastet und sie geduldig mit dem Auge erkundet, erfährt Grundlegendes über die eigene Wahrnehmung. „Mein Werk“, sagt James Turrell, „kennt keinen Gegenstand, kein Bild und keinen Fokus. Ohne Gegenstand, Bild und Fokus: Was sieht man? Man sieht sich sehen. Mir geht es darum, eine Erfahrung wortlosen Denkens zu eröffnen.“
Ein Museum für Lichtkunst
Das einzige Museum, das sich komplett auf die Präsentation von Lichtkunst spezialisiert hat, ist das „Zentrum für Internationale Lichtkunst“ im nordrhein-westfälischen Unna. In den Untergeschossen einer ehemaligen Brauerei untergebracht, kann man dort neben Wechselausstellungen eine Sammlung fest installierter Arbeiten sehen, die teils eigens für das Museum angefertigt wurden, darunter Werke bedeutender Künstlerinnen und Künstler wie Christian Boltanski, Olafur Eliasson, Rebecca Horn, Joseph Kosuth, Brigitte Kowanz, Mischa Kuball und James Turrell. Den Weg zu diesem einzigartigen Ort für die Lichtkunst weist eine Fibonacci-Reihe von Mario Merz auf einem 52 Meter hohen Schornstein.
Beate Kolodziej zum Schwerpunktthema „Licht“ im OPUS Kulturmagazin Nr. 94 (Nov. / Dez. 2022)