Der Komponist Tzvi Avni © Jean M. Laffitau
Jüdischer Gesang und Lebensrückschau
Tzvi Avnis Klarinettenkonzert im 7. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt
von Friedrich Spangemacher
Zu seinem 95. Geburtstag im September gab sich der israelische Komponist Tzvi Avni, der in Saarbrücken geboren wurde, ein besonderes Geschenk: er schrieb ein Klarinettenkonzert, das das Staatstheater Darmstadt in Auftrag gegeben hatte. Zur Uraufführung des Stückes war die renommierte Klarinettistin Sharon Kam eingeladen. Das Konzert stellt sich nicht an die Seite der großen klassischen Klarinettenkonzerte, weder vom Umfang noch von der Universalität, etwa des Mozartschen. Es ist ein eher kurzes Werk, das in gewisser Weise Avnis eigenes Leben, sein Erleben und seine Vergangenheit reflektiert: die Erfahrungen in Israel, wie sie in den tänzerischen Ecksätzen zum Ausdruck kommen. So heißt der erste Satz „Memories“und der letzte „Metamorphoses on an Debka Drooz“. Es ist kein Spätwerk im eigentlichen Sinn, eher ein Werk der milden, aber auch engagierten Rückschau, allerdings durchaus mit tiefen Erfahrungen, wie sie vor allem im Solopart zum Ausdruck kommen. Die Solostimme ist die eines Rufers, einer besonderen, kommunikativen Persönlichkeit, aber auch und vor allem die Stimme eines Reflektierenden. Es ist eine schwebende jüdische Melodie, die mit den modalen Momenten, aus denen sie entwickelt zu sein scheint, ebenso präsent ist wie mit der Schärfe des chromatischen Tons. Sie ist aber immer eine Melodie, mit der sich die Solistin auf einen innigen Weg macht, geprägt von Leidenschaft, aber auch von Klage und Hoffnung. Sie ist wie der Gesang, der in die Wüste getragen werden soll. Das Orchester bietet die Breite der Landschaft aber auch das pulsierende Leben. Mit dem Soloinstrument verbindet sich das Orchester nie richtig eng, aber sie bleiben geschätzte Partner. Wenn das Tänzerische am Ende im Orchester einfach ausläuft, bleiben die Klarinettentöne weiter präsent im Kopf und es geht weiter mit dem zweiten Satz, einem Solo für Klarinette, nur sekundiert von wenigen Metallschlagklängen, Das ist ein tiefempfundenes Stück jüdischen Gesangs, eine unendlich fließende Melodie der Selbstvergewisserung und der Selbstbefreiung, wobei auch Trauer mitschwingt. Wenn das Publikum dann atemlos sitzt, beginnt der heftige Tanz des letzten Satzes, der die Aufbruchsjahre im Palästina der 30er und 40er Jahre spiegelt. Die Klarinette liebäugelt gelegentlich mit dem Klezmer und lässt sich gerne treiben.
Passend dazu dann die Rhapsodie für Klarinette und Orchester von Claude Debussy, in der die fabelhafte Sharon Kam den innigen Ton Avnis, den sie so überzeugend gefunden hatte, weiterzutragen scheint. Sie beherrscht das klassische Klarinettenstück perfekt.
Nach der Pause folgte dann Mahler 5. Sinfonie, eine Sternstunde für den Dirigenten Daniel Cohen. Überwältigend, welche Klänge er aus seinem Orchester herausholte, welche Farben, welche Kraft vor allem in den jubilierenden Tönen, welches überzeugende Tempo, das das musikalische Abenteuer mit Mahler immer vorantrieb. Faszinierend auch die die Staustufen der Partitur, die Cohen genauso ausarbeitete wie die endlosen Vorhalte im Adagietto, das er mit hoher Kultur in allen Schattierungen des Piano entwickelte. Es war ein Konzert, dem die Zuhörer minutenlangen Applaus zollten.