Angelos Samartzis (Don José), Carmen Seibel (Carmen) © Martin Kaufhold
Die Oper Carmen am Saarländischen Staatstheater
Von Friedrich Spangemacher
Die Saarbrücker Carmen in der Neuinszenierung der gleichnamigen Bizet‘schen Oper hätte – so der Anschein – eine ‚femme fatale‘ sein können – allein dafür fehlte das Verführerische. Wenig Erotisierendes hatte das Regieteam dieser Figur (gespielt von Carmen Seibel) gegeben. Wäre nicht die Musik, man könnte sich fragen, weshalb die Männer dieser Frau verfallen: keine erotische Ausstrahlung, keine offenen Flirts… Die flirrende Spannung, die durch die Oper eigentlich gesetzt ist und die bis ins Sexuelle reicht, das Spiel auf der Bühne des Staatstheaters ließ das vermissen. Irgendwann tritt Carmen rückenfrei auf, ein Kostüm, das man vom roten Teppich, aus einem ganz anderen Kontext kennt. Im Hochgebirge bei einem Flintenweib in der Gruppe der Schmuggler passt das wie die Faust aufs Auge.
Ja, die verfüherische Carmen habe man schon unzählige Male gesehen, so mein Chefredakteur, es sei Zeit, die Figur mal neu zu deuten; es ginge doch bei dieser Carmen um das Spiel mit der Macht und die Souveränität einer selbstbewussten Frau, die sich nicht beirren lässt. Will man denn Carmen ohne die knisternde Spannung erleben? Die Musik spricht hier eine eindeutige Sprache: Ja, ich möchte die Carmen als Verführerin, möchte erleben, wie sie die Männer um den Finger wickeln kann. Und das hat absolut nichts mit ‚MeToo‘ zu tun, es ist das uralte Spiel von Eroberung, vom Verfallensein, vom hohen Ideal der Liebe. Dass Carmen am Ende Opfer wird, hat genau mit diesem kaum zu beherrschenden Trieb zu tun.
Man wolle die Klischees nicht bedienen, so das Regieteam, die schwarzen Haare und das rote Kleid für Carmen… Und es kam dann doch, zunächst an einem 11jährigen Jungen, der als Teil der entführten Kinder auf die Bühne kam. Und später wurde das rote lange Kleid vervielfältigt, als mehrere Carmens auf Felsen drapiert wie zu einem Photoshoot inszeniert schienen. Die Habanera Arie „L’amour est un oiseau rebelle“ sang Carmen Seibel vorzüglich, in allen Nuancen, voller Sinnlichkeit, und sie beherrschte die Szene. Oft aber fehlte ihr über lange Strecken das zutiefst Emotionale, das die Figur Carmen ja auszeichnet. Ganz anders Pauliina Linnosaari als Micaela mit der ganzen Inbrunst in ihrer Stimme und mit der so überzeugenden Anteilnahme, der Sanftmut, die vor allem in der lyrischen Arie im 3. Akt zum Ausdruck kam. Wir wurden plötzlich wieder in wohlbekannte Szenerien versetzt. Auch Peter Schöne als Escamillio war faszinierend, der die ganze übergrosse Freude, endlich einmal in Carmen zu singen, im Lied des Troador schmissig zum Ausduck bachte. Angelos Samartzis als Don José kam nie an eine Sternstunde heran, mit der man ihn auf der Saarbrücker Bühne schon so häufig erlebt hat – auch er war Gefangener der Inszenierung, eher Geisel als glühender Liebhaber.
Das Ganze spielte im Hochgebirge, auch der Platz vor der Zigarettenfabrik spielte sich auf einer Paßstrasse ab. Luis Trenker ließ grüßen aus einer Pappmaché-Landschaft, die man eher in den Dolomiten hätte verorten können als in den lieblichen Hügeln und Tälern Andalusiens, wo die Schmuggler ihr Lager hatten.
Nietzsche schrieb, dass die Musik in „Carmen“ verrucht, raffiniert und phantastisch sei, und das löste das Orchester über weite Strecken ein. Natürlich erwartete man eigentlich die Knalleffekte in den so überaus populären Teilen, die spanisch-mediterranen Momente, und man bekam sie auch. Der Generalmusikdirektor Sébastien Rouland fand aber auch die inneren Töne der Partitur, die nicht so plakativ sind und er machte das Orchester zum selbstbewussten und eigenen Partner des Bühnengeschehens, manchmal sogar mit leichtem Einspruch.
Das Publikum war begeistert und spendete heftigen, lang anhaltenden Beifall.