Kyle Davis in „Whiteout“ © Bettina Stöß
(red.) Aller guten Dinge sind drei. Das erwies sich wieder einmal als wahr, und zwar im Saarländischen Staatstheater beim Ballettabend „Future World“, der nun erweitert um Marco Goeckes Tanzstück „Whiteout“ (2008) erst richtig zu einer runden Sache wurde. Wir erinnern uns: Mit der Uraufführung von Stijn Celis’ „Clara“ und mit Richard Siegals „Liedgut“ (2014) feierte die „Zukunftswelt“ am 5. März 2020 schon einmal Premiere (siehe Opus März/April 2020) – um sofort danach pandemiebedingt auf Eis gelegt zu werden. Nun sah man sie zum zweiten Mal als Premiere: Auf den Tag genau zwei Jahre später, getanzt von einer meisterlichen Balletttruppe, die sich seit damals zur Hälfte erneuert hat. Und mit einem zusätzlichen Abschlussstück, das ein richtiger Knüller ist, bei dem man staunen und auch schmunzeln darf, ohne unbedingt in Deutungsgrübeleien verfallen zu müssen.
Bot Stijn Celis mit „Clara“ eine ein wenig kryptische, doch mitreißende Choreografie der eleganten Schwünge, feingliedrigen Bewegungen, in der sich Tanz und Musik in Harmonie verbanden und schwelgerisch die Schönheit feierten, so nahm uns Siegal in „Liedgut“ mit auf eine kühle 80er/90er-Technoparty, auf der Tänzer und Tänzerin in Lack-Bodies die (neo-)klassischen Ballettfiguren rasant wie auf Speed herunterschnurrten. Noch eine Nummer härter, eher wie ein Punk, ging Marco Goecke in „Whiteout“ (ein Titel, der auch gut zu Siegals Stück gepasst hätte) mit dem Ballett um. Nicht der Kopf regiert bei ihm den Tänzer-Körper, sondern, wenn überhaupt etwas, dann die Extremitäten. Wie Kolibri-Flügel flattern die Hände und Arme, zittern und tippeln die Beine, dass einem schwindlig wird vom Zuschauen. Bob Dylans Songs wirken als Soundtrack dazu richtig gemütlich, nach Cowboy-Stimmung, wo hier doch – um im Bild zu bleiben – hypernervöse Rodeo-Pferde powern.
Meist tanzen sie – überwiegend Männer mit nackten Oberkörper und in schwarzen Hosen – allein, aber sie können auch sensibelsten Paartanz. Manchmal dreht uns einer der Tänzer den Rücken zu, senkt den Kopf, biegt die Unterarme ins Dunkel, so dass wir meinen, nur noch einen verstümmelten Torso zu sehen. Überhaupt: Das Sehen wird in „Whiteout“ zu einer spannenden, aktiven Anstrengung. Denn die Bühne ist in ein so raffiniertes Schummerlicht getaucht, dass bei schnellen Bewegungen Nachbilder entstehen, Ränder verschwinden und Dreidimensionalität verflacht, was die Körper verrätselt. So wähnt man die Tänzer aus der Tiefe der Bühne wie auf Rädern nach vorne gleiten zu sehen, wohlwissend, dass sie gehen. Jede Sekunde ist es auf andere Weise unvorhersehbar. Auch Komik ist beabsichtigt. Nach Henri Bergson entsteht sie ja immer dann, wenn lebendige Wesen sich wie mechanisch(e) bewegen. Damit wäre sogar noch der Bogen zum Titel des Abends „Future World“ geschlagen. Auch wenn sich die Tänzer und Tänzerinnen zu Beginn von Celis’ „Clara“ in ihren fantastisch futuristischen Platinen-Kostümen (Laura Theiss) mit Absicht ein wenig eckig-ungelenk wie humanoide Roboter bewegen, so feiert der Abend doch vor allem den Tänzer, die Tänzerin aus Fleisch und Blut.
Silvia Buss