Szene aus Roberto Scafatis Choreografie „Rituale“ © Bettina Stöß
Geduld zahlt sich bekanntlich meist aus. So auch für Roberto Scafati und Mauro Astolfi. Zwei Jahre mussten der Ballettchef des Trierer Theaters und der international renommierte italienische Choreograf coronabedingt auf die Uraufführung ihrer neuen Ballett-Produktion warten. Nun kamen die beiden Choreografien, inszeniert von ihren Schöpfern, endlich auf die Bühne. Und es wurde ein glänzender Erfolg. Dynamik, mitreißende tänzerische Energie und Ausdruckskraft sowie eine überwältigende Bildmacht ließen die Premiere im Trierer Theater zum strahlenden Ereignis werden.
„Rituale“ heißt die Produktion, die zwei eigenständige Arbeiten zum titelgebenden Thema versammelt. Reflektiert wird darin die ambivalente Wirkmacht privater und gesellschaftlicher Rituale, die gleichermaßen stabilisieren wie behindern kann. Man kann es sich schon bequem machen in der vertrauten Routine seiner Rituale. Ein schickes weißes Sofa in einem in eleganten Grautönen gehaltenen Appartement dominiert folgerichtig in der Inszenierung von Mauro Astolfi die Bühne, die er gemeinsam mit Marco Policastro eingerichtet hat. Das stylische Ambiente ist ebenso Sweet Home, dessen Rituale Vertrautheit und Zuneigung signalisieren, wie Horrorladen voller Gewalt und Machtkämpfen. Zuweilen herrscht sprachloses Nebeneinander auf dem gepolsterten Viersitzer, hinter dessen Lehne Abgründe lauern, in die man leicht abstürzen kann. Einen Fluchtweg aus solcher Erstarrung bieten die beweglichen Wandteile.
Mit Tempo, Witz und einem sicheren Blick für Gefahren und Groteske festgefahrener Routinen setzt Astolfi die Doppelnatur der Rituale in Szene. Präzise, geschmeidig und dynamisch veräußern die Tänzer (Kostüme Mona Hapke) raumgreifend geistige und seelische Befindlichkeiten. Astolfi schafft gewaltige Gruppenbilder, in denen die Körper zu Skulpturen werden. Trotz anrührender Pas de Deux und einiger Soli ist Astolfis Choreografie, ebenso wie später die von Scafati, auf das ganze Ensemble ausgerichtet. Dort wie hier entsteht im tänzerischen Diskurs, im Mit- und Gegeneinander der Körper und Bewegungen ein höchst beredtes vielgestaltiges Bild. Kontrovers wie die Wirkmacht der Rituale ist die Musik, darunter Ben Frosts minimalistische Klänge und Peter Gregsons dunkles samtiges Cello mit seinen Bach-Überschreibungen.
Atemberaubende Bildmacht und die faszinierende Symbiose von Tänzern und Bühnenbild überwältigen in Scafatis Inszenierung. Seine Choreografie ist eine eindrucksvolle Performance an der Schnittstelle zwischen Bildender Kunst und Tanz, die sich bildschöpfend zum Gesamtkunstwerk verdichten. Dafür hat die Berliner Bühnenbildnerin Yoko Seyama einen raumhohen Käfig der Rituale geschaffen. Sein durchsichtiges Rund aus elastischen Bändern ist der Aktionsraum einer rituell geprägten Welt. Auch hier herrschen Konflikte, bewegen sich die Akteure (Kostüme Rosa Ana Chanzá) zwischen Freiheitsdrang und der Geborgenheit der rituellen Ordnung. Zuweilen gleichen die Tänzer einer quasi religiösen Gemeinschaft, zu deren Ritualen Dirk Haubrich den sakralen Klang liefert. Mit seinen Bändern ist Seyamas Käfig eine kinetische Skulptur, die selbst immer in Bewegung bleibt – und sich verwindend am Ende im Ritual die Tänzer zu ersticken scheint. Namentlich erwähnt seien als Tänzer die wunderbare Giulia Pizzuto und der geschmeidige Giorgio Strano.
Eva-Maria Reuther im OPUS Kulturmagazin Nr. 90 (März / April 2022)
Weitere Termine: 10.4., 18 Uhr