Die Musikgeschichte des Jazz und der Rockmusik ist auch eine Geschichte des Kiffens, der synthetischen Drogen und der Sucht. Ohne Rauschmittel sind die meisten renommierten Musiker nicht ausgekommen; und die Kreativgeschichte wäre vielleicht anders, braver, verlaufen. Fast alle berühmten Musiker haben Rauschgifte konsumiert und sich neue Sphären der Imagination und der Kreativität versprochen. Selbst Louis Armstrong, der in seinen späten Jahren seine heile „Wonderful World“ so überzeugend über die Rampe brachte, ließ sich täglich drei Joints drehen. Schon 1959 schrieb der Jazzkenner Joachim Ernst Berendt in der Zeitschrift Twen: „Viele Jazzmusiker nehmen Rauschgift. Und zwar nicht erst im modernen Jazz. Schon im alten New Orleans-Jazz gab es Musiker, die sich durch Rauschgift zugrunde richteten; etwa der Klarinettist Leon Rapollo. Um Mezz Mezzrow, den Klarinettisten des Chicagostils der zwanziger Jahre, rankt sich ein berühmt gewordener Rauschgiftskandal. Viele Titel der alten New Orleans-Musik deuteten darauf hin, wie beliebt schon damals das Rauschgift war: ‚Muggles‘, ‚Sending the Vipers‘, ‚Texas Tea Party‘, ‚Chant of Weed‘ – Anspielungen auf Marijuana und Marijuana-Parties in Dialekt und Jargon.“
In den 60er Jahren erfassten die Rauschmittel eine ganze neue Generation. Der Psychologe Timothy Leary, der Guru der Hippie-Bewegung, war ihr Papst und sein Buch „Psychodelische Erfahrungen“ war die Bibel, auch und gerade für viele Musiker. In Konzerten der Band The Grateful Dead wurde LSD verteilt, Woodstock war ohne diese Droge und Cannabis nicht denkbar. Viele Musiker schwuren auf die halluzinatorischen Erfahrungen, die sie zu neuen künstlerischen Höchstleistungen und in neue Sphären treiben sollten. Selbst die ‚sauberen‘ Beatles hatten ihre Erfahrungen. Auch wenn das angebliche LSD-Stück „Lucy in the Sky with Diamonds“ nicht ein Erfahrungsstück aus dem Drogenrausch war, in jener Zeit hat das LSD ihre Musik stark beeinflusst, vor allem „Tomorrow never knows“ aus dem Album „Revolver“. In diesem experimentellen Stück nach einem Drogenrausch zitiert John Lennon den ersten Satz aus Learys Buch „Turn off your mind relax and float down stream“. Es ist ein Song, mit Roboterstimme gesungen und mit endlosen Bandschleifen hergestellt, das einen Einblick in einen Trip gibt.
Aber der Rausch war auch gefährlich und immer mehr Musiker wurden abhängig. Bald waren erste Todesfälle zu beklagen, wie bei Janis Joplin, bei Jimi Hendrix, dem Hexenmeister an der E-Gitarre oder Jim Morrison, dem Sänger der Doors. Alle starben, wie auch später Amy Winhouse, an einer Überdosis. Sie alle bekamen dadurch einen besonderen Kultstatus und wurden dem sogenannten „Klub 27“ zugerechnet, denn sie alle wurden nur 27 Jahre alt.
Bei klassischen Musikern ist der Drogenkonsum nicht ausgeprägt. Viele berauschten sich am Alkohol. Das begann schon mit Robert Schumann, der nach einem Rausch besonders gut komponieren konnte. Modest Mussorgsky war ein heftiger Trinker, Chopin und Berlioz nahmen Drogen. Und Richard Strauss soll unter Kokaineinfluss – vom Arzt verabreicht – einige besondere Arien geschrieben haben. Igor Markevitch nahm Opium, um sein Stück „Vol d’Icare“ zu schreiben und auch der Schriftsteller und Komponist Paul Bowles hat unter Drogen komponiert. Unter Musikern sind aber auch Drogen und vor allem Medikamente durchaus verbreitet. Eine Umfrage unter amerikanischen Orchestermusikern hat ergeben, dass ein Drittel von ihnen sich aufputschen oder beruhigen.
„Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll“ ist inzwischen out. Viele große Bands geben Konzerte, wo Drogen verboten sind. Und aus der Punk-Szene entstand die „Straight Edge-Bewegung“, die alle Drogen verdammt und den Veganismus propagiert.
Friedrich Spangemacher im OPUS Kulturmagazin Nr. 81 (September / Oktober 2020) zum Schwerpunkt „Sucht“