Trüffel, Probenfoto © SST
Der altväterliche Rat „Mehr Sein als Scheinen“ wird nicht erst in diesen Tagen in den Wind geschlagen. Geltungssucht und andere ego-betonende Allüren sind wahrlich so alt wie die Menschheit. Freilich gibt es immer wieder Zeitläufe, in denen das „Ich“ höher im Kurs steht als das „Wir“. So waren die Schauspielverantwortlichen beim Saarländischen Staatstheater gar nicht so schlecht beraten, um sich auf der Speisekarte des französischen Lustspiel-Großmeisters Eugène Labiche „La poudre aux yeux“ (Sand in den Augen) zu bedienen und dem heutigen Publikum als „Trüffel, Trüffel, Trüffel“ zu servieren.
Der Plot ist schnell erzählt: Die nicht mehr zu verschweigende Liaison zwischen Emmeline und Frédéric lässt deren Elternhäuser in einen Übertrumpfungs-Wettstreit einsteigen. Der wenig nachgefragte Arzt Hubert Malingear und seine geltungssüchtige Gattin Ermelinde stacheln den aus niederen Gesellschaftsschichten aufgestiegenen Zuckerbäcker Herbert Ratinois und seine Ehefrau Emilia-Amalia zu einem hemmungslosen Buhlen um gesellschaftliche Anerkennung an. Tolle Ausgangslage für Regisseurin Julia Prechsl und ihr siebenköpfiges Ensemble für ein gut zweistündiges Feuerwerk der Spielfreude und Situationskomik in der Alten Feuerwache.
Gregor Trakis liefert ein Meisterstück in der Kunst des Verlegen-Stammelns, des Um-den-heißen Brei-Redens ab, wenn er die Entscheidung, die Hand seiner Tochter an den frischgebackenen Anwalt zu vergeben, auf die lange Bank schiebt: Gesichtsakrobatik vom Feinsten. Nicht minder einprägsam die Rollenanlage von Raimund Widra, der den unterwürfig, speichelsabbernden Herbert Ratinois mit jeder Faser seines Körpers geschmeidig und anpassungsfähig auf die Bühne bringt. Anne Rieckhof (Ermelinde Malingear) und Verena Bukal (Emilia-Amalia Ratinois) sind die Francs-Zeichen buchstäblich auf die Stirn geschrieben: Sie rattern wie klingelnde Rechenmaschinen die ins Unermessliche steigenden Mitgiften herunter. Nicht zu vergessen Laura Trapp, die mit einer herrlich androgynen Ausstrahlung in einem Potpourri von Männer- und Frauenrollen eine unglaubliche Bühnenpräsenz hat und am Ende als Onkel Robert mit einer imposanten Finanzspritze den beiden letztendlich mittellosen Elternpaaren den Hals rettet. Doch da haben die beiden frisch Verliebten Emmeline und Frédéric überraschend die Nase voll: „Just married“ muss nicht mehr sein! Dabei haben sie doch den ganzen Abend bei allen fulminant angespielten 1,50 Meter-Abstandsregeln so nach Nähe gegiert. Eine prächtiger Abend, bei dem man nicht erst beim Schlussapplaus das Gefühl hatte, in einem prallgefüllten Zuschauerraum gesessen zu haben.
Burkhard Jellonnek