Die Hochschule für Musik des Saarlandes © HfM Saar
Oft spielt auch in der Kultur- und Bildungsgeschichte eine Mischung aus Zufall und den richtigen Personen zur richtigen Zeit am richtigen Ort eine entscheidende Rolle. So war es jedenfalls in der Nachkriegsära im dahinsiechenden Saargebiet, als zwei Offiziere der damaligen französischen Militärverwaltung in den Jahren 1946 und 1947 unbedingt ein Konservatorium nach dem Vorbild des legendären „Conservatoire de musique de Paris“ gründen wollten – bis es dann am 20. Oktober 1947 schließlich in Saarbrücken errichtet wurde. Ihre Namen: François-Régis Bastide, Oberleutnant, Diplomat und späterer Romanautor, sowie der Chef der Militärverwaltung, Colonel Gilbert Grandval. Dank ihrer Beharrlichkeit gelang es, ein Fundament zu gießen, auf dem sich seit 75 Jahren eine exzellente künstlerische Bildungsarbeit entfalten konnte. Es ist zu vermuten, dass es den beiden Musikenthusiasten des französischen Militärs 1947 auch darum ging, unter dem Aspekt der noch ungeklärten Zukunft des damaligen Saarstaates mit Hilfe dieses „Konservatoriums nach dem Vorbild Paris“ einen Kulturpflock nach französischem Vorbild einzuschlagen. Und ihnen gelang zudem ein besonderer „Clou“: sie halfen, den Pianisten Walter Gieseking als Professor nach Saarbrücken zu locken. Der 1895 in Lyon geborene deutsche Pianist zählte nach dem Krieg neben Wilhelm Backhaus und Wilhelm Kempff zu den führenden Vertretern der damaligen Klaviergarde. Sein Name setzte Maßstäbe für das gesamte Institut – bis heute. Allerdings galt im Jahr 1947 Giesekings Verhältnis zum NS-Staat noch immer nicht als hinreichend geklärt. Er stand auf Hitlers „Gottbegnadetenliste“ und er soll den Wunsch geäußert haben, „für Adolf Hitler zu spielen“. Noch 1949 muss er einen Klavierabend in der New Yorker Carnegie Hall wegen heftiger Proteste absagen. Neueste Untersuchungen lassen allerdings den Schluss zu, dass sich der Pianist dem Nazi-Regime gegenüber eher passiv verhalten hat.
Wie auch immer – der Name dieses Ausnahmepianisten war über 75 Jahre für die heutige „Hochschule für Musik Saar“ eine Verpflichtung, bei der Besetzung von Professuren immer auf höchste Qualität und internationale Ausstrahlung zu achten: Namen wie der französische Cellist Maurice Gendron, der Schweizer Organist André Luy, der amerikanische Liedbegleiter Irwin Gage, der russische Geiger Maxim Vengerov, der Schweizer Klarinettist Eduard Brunner, der israelische Geiger Joshua Epstein oder der französische Organist Daniel Roth zeugen davon, um nur eine Auswahl zu nennen. Und wurde in den Gründungsjahren das Kollegium noch vorrangig aus dem Umfeld des Saarlandes und des Rheinlandes rekrutiert, so führten die Vorgaben des Hochschulrahmengesetzes dazu, den Radius der einzuwerbenden Professorinnen und Professoren ganz wesentlich zu erweitern. Zwar waren mit dem Sänger Sigmund Nimsgern und dem Cellisten Gustav Rivinius auch prominente Vertreter aus dem Saarland darunter, aber das Gros der heutigen Professorenschaft ist ganz „bunt“ – also national und international zusammengestellt. Allein das künstlerische oder wissenschaftliche Profil sowie die Lehrkompetenz sind seit langem die alleinigen Einstellungsmerkmale.
Die klare Ausrichtung des Lehrpersonals auf internationale Zusammensetzung ist dennoch unverkennbar und hat innerhalb der Hochschule nicht nur keine Probleme hervorgerufen, sondern das Profil und die Atmosphäre im Hause selbst ganz wesentlich bereichert. Und diese Ausrichtung übertrug sich im Laufe der Jahrzehnte auch auf die Studierendenschaft: die Ausländerquote der heute 469 eingeschriebenen Studierenden beträgt ziemlich exakt 50 % aus 43 Nationen – einer Quote, die im 20-jährigen Jubiläumsjahr 1967 noch bei 17 % lag. Mit diesem deutlichen weltweiten Interesse an einem Studium in Saarbrücken trägt die Hochschule für Musik wie kaum eine andere Institution zum internationalen Flair und unverkennbaren Renomee hier in der Region bei.
Leider konnte mit dieser grandiosen personellen Entwicklung die Befriedung der äußeren Rahmenbedingungen nicht mithalten. Zwar wurden der immer weiterwachsenden Hochschule im Laufe der Jahrzehnte etliche Kirchen und umgewidmete Gebäude zugewiesen – das wohl gravierendste aktuelle Problem, nämlich der von allen Seiten als zutiefst marode anerkannte Zustand des Hauptgebäudes, ist allerdings nach wie nicht gelöst. Nachdem ein zugesagter Neubau sich schon 2010 wegen fehlender Finanzmittel verflüchtigt hatte, ist bei den Verantwortlichen in der Landesregierung die Erkenntnis gereift, dass nun eine grundständige Sanierung des gesamten Gebäudes erfolgen muss. Die Gelder dafür sind bereitgestellt und es liegen Sanierungspläne vor, allerdings findet sich keine Ausweichimmobilie, die ohne einen unverhältnismäßig großen finanziellen Aufwand mit Blick auf die speziellen Ausbildungsmodalitäten einer Musikhochschule für die Zeit des Umbaus geeignet erscheint.
Viel spricht dafür, angesichts der immensen Sanierungskosten des 1970 erstellten Hauptgebäudes am Ufer der Saar und zweimaliger Umzugskosten, mit einem kombinierten Neubau im Verbund mit dem angestrebten Musikzentrum Saar ein echtes Zukunftsprojekt zu realisieren. Denn dafür könnten wegen des Pilotcharakters einer solchen Lösung und der die Wirtschaftlichkeit entscheidend verbessernden Nachhaltigkeit durch die energetische Optimierung Zuschüsse der Kreditanstalt für Wiederaufbau sowie Bundeszuschüsse aus dem Haushalt des Staatsministeriums für Kultur und Medien und aus den Mitteln des Hochschulbaus eingeworben werden. Nicht zuletzt würde auch die Standortqualität des Saarlandes deutlich gestärkt. Insoweit ist nicht die Hochschule selbst gefragt, sondern auch die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft.
Dr. Kurt Bohr im OPUS Kulturmagazin Nr. 89 (Jan. / Feb. 2022)