Wie wird das Leben zum Kunstwerk?
„Hedda“ nach Henrik Ibsens Drama in der Tufa Trier
von Eva-Maria Reuther
Die Freie Szene Triers ist vital. Einmal mehr ist das jetzt im Kulturzentrum Tufa zu erleben. Als Produktion des Theaterkollektivs bühne 1 inszeniert dort Mihails Gubenko das Bühnenstück „Hedda“ nach Motiven von Henrik Ibsens Drama „Hedda Gabler“. Die Neufassung besorgte Lara Fritz, die derzeit als Dramaturgin am Staatstheater Mainz arbeitet. Ihr und Gubenko oblagen auch Konzeption und Gesamtleitung des Projekts. „Hedda Gabler“ ist eines der bedeutendsten Stücke des norwegischen Autors. Das 1891 in München uraufgeführte Drama ist ein Emanzipationsstück, aber keins im Sinne feministischer Kampfliteratur. Ibsen befreit darin die Frau, indem es sie in die Verantwortung nimmt. Seine Hedda, die ihren Mann aus Langeweile geheiratet hat ist nicht nur Subjekt und Opfer bürgerlicher gesellschaftlicher Zwänge. Sie ist vielmehr gleichermaßen eigenverantwortliche Täterin wie Opfer ihrer selbst. Ibsens Drama aus dem späten 19.Jahrhundert ist kaum ohne die eben entwickelte Psychoanalyse denkbar. Aber es steht auch in enger Beziehung zu den Reflektionen eines anderen Skandinaviers, dem Philosophen Søren Kierkegaard. Denn vor allem ist Hedda Gabler ein Stück über das Wesen des Menschen und seiner Existenz. Die Frage nach dem eigenen Selbst und seinem Sinn wird an diesem Abend nicht nur im Spiel verhandelt. Zur Selbstvergewisserung ist auch gleich eingangs das Publikum aufgefordert, dem die verspiegelten Wände der Installation oben auf der Bühne im Wortsinn den Spiegel vorhalten. Dann beginnt das Drama um Hedda Gabler und ihrem Leiden am sinnlosen Leben. Die Installation wandelt sich später zu einem Käfig der Innenschau, der entfesselten Ekstase wie der verzweifelten Seelenkämpfe. Michails Gubenko ist eine packende, eindrucksvolle Inszenierung gelungen, die ganz nah an Ibsens Ideenlage bleibt. Dabei beschränkt sich der Regisseur auf wenige Zeichen (Bühne und Kostüme Julian Porten, Nadja Szymczak, Noëmi Vieweg. Musik: Felix Baum ). Ein rosa Sofa, steht als Solitär auf der Bühne, gleichermaßen Mobiliar der schicken Berliner Altbauwohnung, in der Hedda und ihr Mann Jörgen über ihre Verhältnisse leben, wie Requisite eines durchgestylten aber frustrierenden Lebens. Ein Leben in der Bubble, signalisieren die herumliegenden Luftballons. Gubenko schafft ein komplexes Kraftfeld seelischer Befindlichkeiten und widerstreitender Gefühle, von Sehnsüchten und Aggressionen, von Frust, Demütigung und Niederlagen. Dabei verzichtet der Regisseur auf jegliche klischeehafte Überzeichnung. Seine Figuren sind allesamt komplex in ihrer Existenz wie tragisch und fragil in ihrer Sinnsuche. Die fabelhaft aufspielenden Schauspielerinnen und Schauspielern machen die aufkommenden Fragen dringlich. Als Hedda trifft Amélie Leclère exakt den Ton der weiterhin gelangweilten Upper-Class Tochter Hedda, die sich von vulgärer Banalität umgeben sieht, und die das gutbürgerlich geordnete Leben mit einem aufstrebenden Literaturwissenschaftler anödet. Die Tochter aus bester Familie ist auf der Suche nach ihrer ganz eigenen „Ästhetik der Existenz“. Sie sehnt sich nach Schönheit, nach dem vollendeten Kunstwerk Leben. Was genau das sein soll, bleibt offen, ein großes „Vielleicht“. Vielleicht ist es die Spaßgesellschaft der hauptstädtischen Parties und Clubs. Vielleicht ist es die Macht, die Hedda über Menschen und Männer anstrebt, die sie benutzt und manipuliert. So wie ihren einstigen Liebhaber Ellert, der als Erfolgsautor und Rivale ihres Mannes, sowie als Partner ihrer Freundin Thea unerwartet auftaucht und dessen Existenz sie zerstört. Eine Personenzeichnung abseits von Klischees gelingt auch Till Thurner. Er ist keineswegs ein blutloser Intellektueller, der Karriere machen will. Sondern ein sympathischer grundsolider Mann, der seine Frau anbetet und ihre Launen erträgt. Als „trockener“ Alkoholiker und Bestseller-Autor Ellert verkörpert Lennart Gottmann das nihilistische Pendant zu Hedda. Ihm gibt Heddas Freundin Thea halt. Lara Maria Humm legt sie als eine verletzliche Frau an, in deren scheinbar selbstlosen Hilfsbereitschaft und Zugewandheit sich subtile Machtausübung offenbart. In Gubenkos fein austarierter Inszenierung bleibt die Antwort auf die Sinnfrage offen. Es bleibt bei „vielleicht“. Unbedingte Empfehlung!
Nächste Vorstellungen: 18.,21,, 23.01.2025 , 19.30Uhr, Großer Saal
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