Foto: Der Komponist Tzvi Avni © privat
Jüdische Musiker haben das kulturelle Leben in Saarbrücken nachhaltig mitgeprägt – angefangen vom großen Wagner-Interpreten Hermann Levi, der als knapp 20jähriger in Saarbrücken seine ersten dirigentischen Sporen verdiente, weiter über den seinerzeit hochgeschätzten Komponisten Friedrich Gernsheim, einem Freund von Theodore Gouvy und bis zum ‚enfant terrible‘ der 1920er und 1930er Jahre, Erwin Schulhoff, der in Saarbrücken als Klavierlehrer arbeitete. Es ist die Frankreich-Nähe, die die Stadt für Musiker so attraktiv machte, aber auch die Weltoffenheit, die jüdische Musiker bis 1935 anzog, als es in Nazideutschland längst Berufsverbote für Juden gab und Verfolgungen eingesetzt hatten. Aber das liberale Klima änderte sich rasch und radikal nach dem Anschluss des Saargebietes an das Deutsche Reich und die Juden wurden vertrieben.
Die Deutsche Radio Philharmonie hat nun in einer Reihe von Konzerten an Jüdische Komponisten erinnert – im Rahmen des Großprojektes „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“.
Neben zwei Ensemblekonzerten spielte die Deutsche Radio Philharmonie zwei Sinfoniekonzerte im großen Sendesaal des SR. Für das erste Konzert am 22. Oktober 2021 hatte das Orchester die aus dem Saarland stammende Dirigentin Ruth Reinhardt eingeladen, die – neben Werken von Saint-Saens und Haydn sowie des jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy – ein bemerkenswertes Stück des in Saarbrücken geborenen israelischen Komponisten Tzvi Avni aufführte. Es war ihr Debüt mit dem Rundfunkorchester und sie überzeugte in jeder Hinsicht. Sie war ein Kraftwerk am Pult, ungeheuer beweglich und auch bewegt, durchdrungen von der Musik, die auf dem Pult lag und erfüllt von der Leidenschaft, die etwa Haydns Pariser Sinfonie Nr. 84 braucht. Mit viel Umsicht und hohem Einfühlungsvermögen dirigierte sie Tzvi Avnis, „Pas de deux“, das in einer Orchesterbearbeitung von Kolja Lessing gespielt wurde, der auch der gefeierte Solist war und sehr tief eintauchte in diese so lyrisch wie selbstbewusst komponierte Musik. Lessing brachte die zentralen Elemente der Musik Avnis auf den Punkt: die vorderasiatische und auch jiddische Komponente, das Klassische und die Moderne. In nuce ist in diesem Stück ein Portrait seiner Ästhetik, seines künstlerischen Ichs und Selbstverständnisses enthalten. Lessing spielte auch das wenig bekannte und doch so faszinierende 1. Violinkonzert von Camille Saint-Saens.
Das Festkonzert im Rahmen von „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ am 7. November stand unter der Schirmherrschaft von Ministerpräsident Tobias Hans. Pietari Inkinen leitete das Orchester zunächst in der 2. Sinfonie von Erwin Schulhoff – ein Stück das den Zeitgeist der frühen 1930er Jahre zum Ausdruck brachte – mit dem sachlichen Ton, mit den pulsierenden Jazzrhythmen aber auch in den fast sentimentalen und leicht dekadenten Tönen im zweiten und letzten Satz. Hindemith, Strawinsky, Wolpe, Antheil kamen in den Sinn wie die Idee des Dadaismus, der Schulhoff zeitweise folgte. Inkinen und seine Musiker wussten genau diese Welt des Aufbruchs vor dem dann kommenden Zusammenbruch aufzurufen. Es folgte das geniale Geigenkonzert von Felix Mendelssohn, gespielt von Michael Barenboim, ganz ohne Mätzchen, aber mit einer starken inneren Zuwendung und in großer Spiellaune. Inkinen und das Orchester ließen den grossen Ton mit Überzeugungskraft wirken, sie gaben dem Stück auch das Verspielte, wie es im letzten so leichtfüßigen Satz mit den Holzbläserkapriolen zum Ausdruck kommt. Zu Beginn des Konzertes und nach der Pause las der Saarbrücker Kantor Benjamin Chaut aus den Autobiographien von Tzvi Ani und Schlomo Rülff. Mit einem wahren Schmuckstück ging das Konzert dann zu Ende – mit den Märchenbildern von Wolfgang Korngold, dessen erzählerischen Ton Inkinen schön aufgriff und die Partitur dann auch sehr musikantisch in Szene setzte. Komponiert hatte Korngold diese Bilder mit 13 Jahren und später überaus perfekt instrumentiert mit Hilfe seines Lehrers Zemlinsky. In all diesen Stücken war ein großes Stück jüdischen Lebens in Deutschland, und es wurde dem Motto des Konzertes „Chai“ = Leben mehr als gerecht. Ricarda Kunger, die Vorsitzende der Synagogengemeinde Saar gab ihrer Freude über dieses Konzert Ausdruck und formulierte zu Beginn des Konzertes ihre Überlegungen, was Leben heißt, für jüdische Menschen aber auch für all ihre Mitbürger.
Friedrich Spangemacher