Roberto Scafati probt mit Leidenschaft und Präzision © Marco Piecuch
„Der Italiener hat überhaupt ein tieferes Gefühl für die hohe Würde der Kunst“, notierte Italien-Liebhaber Goethe. Jetzt hat ein Italiener der Kunst wegen Ulm verlassen, wo er am Theater als Choreograf und künstlerischer Leiter der Tanzsparte arbeitete. Seit 2018 ist Roberto Scafati Ballettdirektor am Trierer Theater. „Ich bin gern hier“, so sein Fazit nach einer Spielzeit und dem gelungenen Start der zweiten. Wer dem gebürtigen Römer beim Proben zuschaut oder seine Choreografien und Inszenierungen ansieht, ist geneigt, dem Geheimrat aus Weimar zuzustimmen. In Scafatis Produktionen verbinden sich eindrücklich gestalterische und dramaturgische Phantasie mit großem künstlerischen Ernst und dem unbedingten Willen zur Präzision. Auch für den Choreografen erreichen Tanzsprache und Energien erst in der schlüssigen Form und der präzisen Bewegung ihre volle Ausdruckskraft. Dabei ist Scafati kein Formalist. Weshalb er auch das moderne Tanztheater dem klassischen Ballett vorzieht. „Im modernen Tanztheater können die Tänzer mehr von sich selbst einbringen, sie können authentischer sein“.
Der Mensch und seine Existenz im Fokus
Scafatis Interesse am Menschsein ist für seine Kunst existentiell. Ob „Zorbas“, „Die Reise in die Hoffnung“ oder die aktuelle Produktion „Carmen/Bolero“ mit ihrer geradezu barocken Thematik von Lebenslust und Todesahnung: Es ist stets der Glücksucher Mensch, mit seinen seelischen wie geistigen Befindlichkeiten, seinen Weltentwürfen und ihren Verwerfungen, mit denen sich der Choreograf in seinem Werk auseinandersetzt. Tanzen wollte der Ballettchef im Übrigen schon immer, bereits damals, als er noch zur Schule ging und nebenbei arbeitete, um seinen Vater nicht um das teure Schulgeld für die Tanzausbildung zu bitten. Bis jener Glückstag kam, als er die Nachricht von einem Stipendium an der renommierten Scuola Italiana di Danza in Rom erhielt.
Dem Studium dort folgte eine Weiterbildung in Cannes bei der leidenschaftlichen Tanzpädagogin und angesehenen amerikanischen Tänzerin Rosella Hightower. Das erste Engagement des jungen Tänzers führte an die Oper in Neapel. Beim Vortanzen hatte ihn die Tanz-Legende Rudolf Nurejew entdeckt. Zurück in Rom wurde Scafati Mitglied im Ensemble des Teatro dell`Opera. Als Solotänzer, Trainingsleiter und schließlich künstlerischer Leiter der Ballettsparte lernte er ab 2009 in Ulm die unterschiedlichen Bereiche seines Faches kennen, agierte international und machte das Ulmer Ballett über die Region hinaus bekannt. „Tanz und Tänzer müssen sich ständig entwickeln und Neuem öffnen“, fordert Scafati. Was für den Geist gilt, ist ihm auch künstlerisch lebenswichtig: „Wir können nicht an einem Ort bleiben. Das ist tödlich.“ Auf der Stelle treten mag der Ballettchef nicht, in seinen Choreografien treffen sich alte Musik und zeitgenössische Klänge, klassisches Ballett und Modern Dance.
Nach dem erfolgreichen Start soll es so weitergehen. „Man hat sein Schicksal in der Hand“, sagt der Ballettchef mit dem ihm eigenen Optimismus. Seine Grundeinstellung: Man muss Ziele haben, sich Herausforderungen stellen und sein Bestes geben. Demnächst will der international arbeitende Choreograf, der gerade in den Niederlanden war und unlängst in Jerusalem inszeniert hat, mit dem Ensemble auf Tournee nach Lindau gehen. Umgekehrt werden in dieser Saison internationale Gastchoreografen nach Trier kommen. „Der Input an unterschiedlichen Tanzsprachen ist für die Kompanie sehr wichtig“, weiß Scafati. „Wir wollen ein Tanztheater für die Stadt sein, aber auch für die Welt draußen.“
Eva-Maria Reuther im OPUS Kulturmagazin 77 (Januar / Februar 2020)
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