Mary-ann Dunbar als Sita und Peter Schöne als Rama © Foto Kaufhold
Eine Welt-Uraufführung in Saarbrücken!
Saarländisches Staatstheater bringt Gustav Holsts Oper „Sita“
erstmals auf die Bühne
Welch eine kuriose Geschichte: ein englischer Komponist erhält bei einem Kompositions-wettbewerb im Jahr 1906 für die von ihm eingereichte Oper „Sita“ nur den 2. Preis. Er ist darüber enttäuscht und lässt die Partitur in seinem Archiv verschwinden. Etwa 120 Jahre später ist ein hartnäckiger deutscher Intendant der Urschrift auf den Fersen, macht die Oper in einem britischen Archiv ausfindig, lässt eine Druckfassung erstellen und bringt das Werk erstmalig an die Öffentlichkeit. Bei dem Komponisten handelt es sich um den Briten Gustav Holst (1874-1934), der durch seine ebenso plastisch wie phantastisch komponierte Orchestersuite „Die Planeten“ weltweit bekannt wurde. Und der deutsche Fährtenleser heißt Bodo Busse, Noch-Generalintendant am Saarländischen Staatstheater. Ausgerechnet im eher frankophilen Saarbrücken also fand am 12. Oktober die britische Oper „Sita“ von Gustav Holst ihre Welturaufführung – keine Wiederentdeckung, sondern die erste vollständige Bühnenfassung in englischer Sprache: Chapeau, Monsieur Busse, merci et adieu! Denn Busse verlässt Saarbrücken und wird vom nächsten Jahr an in Hannover als Intendant weitermachen. Mit Holsts „Sita“ hat er nun für seine Wirkungsstätte in Saarbrücken noch einmal eine starke Duftmarke hinterlassen, die lange nachwirken wird. Allein der Premieren-Abend zeugte davon: viele fremde Gesichte und ein gut gefülltes, wenngleich nicht ausverkauftes Haus.
Holsts Oper „Sita“ liegt eine Episode aus dem indischen Nationalepos »Ramayana« zugrunde und spielt sich ab im ewigen Kreislauf der Inkarnation: so werden Sita, die Tochter der Erde, und Held Rama in einen entbehrungsreichen Kampf gegen den Bösewicht Ravana verstrickt. Eine etwas fremde Welt im fernöstlichen Indien also, deren Hauptfiguren man erst einmal sortieren musste. Das gelang aber auch deshalb recht leicht, weil Regisseur Jakob Peters-Messer die Geschichte in einem großen, grauen Guckkasten spielen ließ, mit farblich deutlich kontrastierenden Kostümen für die gegnerischen Parteien. Und unter Verzicht auf jegliche anbiedernde „Regie-Effekte“, denn diese hätten sich ja gerade bei einer Phantasiegeschichte um Götter, Avatare und schwächelnde Menschen angeboten. Das einheitliche Bühnenbild wurde dabei – wieder einmal – durch die Könner aus der Abteilung Beleuchtung unter Max Karbe je nach Situation in ein wunderbar-betörendes Licht getaucht, etwa im 2. Akt, der zu Beginn in einem phantastisch ausgeleuchteten Sonnenaufgang spielt. Eine besonders schwierige, weil einmalige Rolle kam dem Dirigenten des Abends, Stefan Neubert, zu. Er musste aus dem „Nichts“ heraus, also ohne Blaupausen oder vorhandene Einspielungen, Holsts Musik aus der stummen Partitur in einen mächtigen Orchesterklang aus dem Graben für die Bühne umsetzen. Dieses Unterfangen gelang ihm und dem Staatsorchester mit Bravour, denn man darf nicht vergessen, dass der Tonmitschnitt dieses Abends als Vorbild künftiger Vorstellungen in anderen Opernhäusern dienen könnte. Und auch das: wieder einmal füllten die Hauptdarsteller ihre Gesangspartien mit einem Niveau auf, das den Vergleich zu „großen“ Opernhäusern in keiner Weise zu scheuen braucht: Clara-Sophie Bertram anrührend in der Rolle der flehenden Erde, Peter Schöne mit seinem warmen Bariton als Geliebter der Sita, die von Lea-ann Dunbar mit Wissen um ihre Stellung überragend dargestellt wurde. Bassist Markus Jaursch fühlte sich in der Rolle des Bösewichts Ravana derart wohl, dass er mit Sonderbeifall bedacht wurde, auch Tenor Algiras Drevinskas ging in der Rolle des Kriegers Laksman völlig auf. Und das Saarbrücker Edel-Eigen-Gewächs Judith Braun war mit ihrer Bühnenpräsenz einmal mehr eine Idealbesetzung, in diesem Fall in der Rolle der beziehungs-spaltenden Surapanakha. Allesamt wirklich großartig! Überhaupt müsste dem gesamten Staatstheater-Ensemble eigentlich die „Goldene Palme“ verleihen, denn vom Intendanten bis hin zu den Damen der Garderobe war man sich offenbar der besonderen Bedeutung dieses Abends in für das Saarbrücker Theater bewusst: Prüfung bestanden – bravissimo!!!
Und natürlich war man auf Holsts Musik gespannt, fragte sich, warum dieser Komponist, der Jahre später mit seinem Werk „The planets“ Weltruhm erlangte, im Wettbewerb nicht reüssieren konnte. Vielleicht, weil er kaum an das große, unerreichbare Genie Richard Wagner heranreichen konnte? Sicher, man entdeckt Leitmotivisches und man hört klagende Holzbläser-Soli. Aber ist da nicht ein noch Suchender, ein Tastender am Werk, der „zu sich selbst und seinen Stil“ noch nicht gefunden hat? Natürlich enthält das Werk wunderschöne Momente, etwa die Einleitungsmusik zum 2. Akt mit ihren bombastischen Choranteilen, die vom Theaterchor mit einer nie dagewesenen, blitzsauberen, messerscharfen und kristallenen Brillanz in den Saal geschmettert wurde: ein „Bravo“ auch und gerade diesem Chor und seinem Leiter Mauro Barbierato!
Müsste man ein Fazit dieses ungewöhnlichen Abends ziehen, so dieses: Ganz sicher werden der 12. Oktober 2024 sowie der Spielort Saarbrücken in die englischen Musikgeschichtsbücher eingehen als der Tag und der Ort, an dem Holsts Oper „Sita“ nach 118 Jahren Dornröschenschlaf ihre Erweckung und Uraufführung erlebte. Sicher ist aber auch, dass man die Musikgeschichte des beginnenden 20. Jahrhunderts nicht neu schreiben muss. Denn dazu ist Holsts Musik in dieser 1906 geschrieben Oper zu vage, zu unverbindlich – manchmal gar zu akademisch, weil zu sehr auf den Gewinn bedacht? Egal, denn Holsts Zeit begann acht Jahre später im Jahr 1914, als seine Orchestersuite „The planets“ uraufgeführte wurde und ihren Siegeszug antrat. Diese Musik ist derart „eigen“ und damit „Holst“, dass sie noch heute den Granden der amerikanischen Filmkomponisten wie John Williams oder Hans Zimmer als Vorbild dient. Voliá – ein Ritterschlag ganz eigener Art.
Thomas Krämer