„Nur wer gesehen wird, wird gehört“. Szene aus „Der gute Mensch von Sezuan“ im Theater Trier, vorne Isa Weiß als Shui Te. © Marco Piecuch
„Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war, ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar, das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht, den alten Rang, den Raum ihr streitig macht“, stellt sich Mephisto dem deprimierten Heinrich Faust vor. Licht bedeutet Erhellung und Erkenntnis, und damit Ermächtigung zur Weltaneignung, weiß der Teufel. Das weiß auch Goethes Doktor. Der Gelehrte, der im Eingangszitat in seiner Studierstube grübelt, ist in diesem Sinn wohl der berühmteste Lichtsucher der europäischen dramatischen Literatur. Immer wieder fällt Licht als Symbol in die Finsternis seiner rastlosen Suche, mal von der freundlichen Lampe seiner Studierstube, mal als Feuer der Hexenküche, dann wieder als greller Blitz oder Sonnenlicht und schließlich als himmlisches Strahlen. Als langjähriger inszenierender Intendant des Weimarer Hoftheaters, kannte sich Goethe bestens mit der sinnstiftenden symbolischen Bedeutung des Lichts bei der szenischen Einrichtung eines Bühnenstücks aus. Für seine Tragödie „Faust“ etwa hat er dazu sehr genaue Anweisungen gegeben. So legte er fest, dass ein Großteil der Szenen in der Finsternis zu spielen sei, bestimmte, wann die Sonne aufzugehen hatte, und wann Dämmerung angesagt war oder wo künstliche Lichtquellen, wie die Lampe der Studierstube, die Szenerie beleuchten sollten.
Auch wenn er sich noch nicht systematisch, wie hundert Jahre später die ersten Lichtdesigner, mit den Funktionen der Lichtsetzung beschäftigte, so dachte doch der Weimarer Dramatiker und Regisseur Goethe nicht nur über die Symbolkraft des Lichts, sondern auch über den Zusammenhang von Licht und Raum nach. Das Licht und die „Bretter“ des Bühnenbodens bedeuteten ihm Himmel und Erde, zwischen denen im Bühnenhaus des Theaters die „ganze Welt der Schöpfung“ künstlerisch auszuschreiten sei. In Ermanglung anderer Mittel wurde vor allem die Farbe auf den gemalten Kulissen lange zur Lichtquelle. Lichtregie im heutigen Sinn, mit ihrem künstlerischen Einsatz von Lichtquellen und deren Steuerung, gibt es erst seit dem 20. Jahrhundert. Ihre Anfänge hängen eng mit der Nutzung der Elektrizität als Leuchtmittel zusammen. Knapp 50 Jahre nach der Erfindung der Glühbirne entschied 1900 der britische Regisseur und Bühnenbildner Edward Gordon als eine Art erster Lichtdesigner des Theaters: „Licht wird nicht mehr gemalt, sondern geleuchtet“. Schon ein Jahr später erreichte sein eidgenössischer Kollege Adolphe Appia durch den bahnbrechenden Einsatz von Scheinwerfern auf der Bühne Raumtiefe und die plastische Wirkung von Gegenständen. An der grundsätzlichen Funktion der Lichtsetzung hat sich hingegen seit Goethes Zeiten nichts geändert. Stets muss sie das „Light behind the Eye“ zum Ziel haben, von dem James Turell spricht. Soll heißen: Mit Hilfe des Lichts sollen Inhalte erhellt und die abstrakte Welt des Wortes und der Begriffe emotional erfahrbar werden. Das Licht wird dabei nicht nur zum Weltschöpfer, sondern auch zu ihrem Interpreten, der gewichtet, Raum schafft und Gegenstände, Körper und Farben verändert hin zu immer neuen Realitäten. Dabei hat die Poesie des Lichts in der Musik eine wichtige Verbündete. Als beredter Kommentator schafft das Licht dunkle und helle Milieus, veräußert Träume und Sehnsüchte und bringt mit grellen Blitzen und hartem Schlaglicht Leid und Unmenschlichkeit an den Tag. Unverzichtbar ist die gelungene Setzung des Lichts für den Aufbau von Spannungsbögen und Aufmerksamkeitskurven beim Erzählen. Und auch die lautesten Stimmen aus dem Off machen die alte Erkenntnis über die Bühnenpräsenz von Akteuren nicht hinfällig: „Man muss den Schauspieler sehen, um ihn zu hören.“ Wer im Dunkel stehe, werde nicht gesehen, konstatiert Bert Brecht in seiner „Dreigroschenoper“. Das ist auf dem Theater sowohl sinnbildlich zu verstehen wie wörtlich zu nehmen. Mehr noch: Erst das rechte Licht macht auf der Bühne das Dunkel, das Brecht meint, als soziales Dunkel augenscheinlich.
Seit dem Einsatz der ersten Scheinwerfer in den ersten Jahren des vorigen Jahrhunderts haben die technischen Möglichkeiten der Lichtregie enorme Fortschritte gemacht. Bereits in den 70er Jahren revolutionierten Großmeister wie Bob Wilson und seine legendäre Opern-Inszenierung „Einstein on the Beach“ den künstlerischen Umgang mit dem Licht. Mit der Einkehr der Digitalität ins Theater sind die Steuerung des Lichts und die Ausleuchtung des Bühnenraums auf eine Art verfeinert worden und Effekte möglich, die eine ganz neue ästhetische Aneignung der Stoffe mit sich brachten. Zusätzlich an Bedeutung gewonnen hat die Lichtregie mit der Öffnung der Theater für die Performance. Die schönste Würdigung des Zusammenspiels von Licht und Ton im Bühnenraum ist Ernst Jandl mit „Der Raum“ gelungen, einem „szenischen Gedicht für Beleuchter und Tontechniker“.
Mehr und fraglos besseres Licht auf der Bühne kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Theater als Institution ein im Wortsinn zwielichtiger Ort bleibt. Manchem mutet er in seiner Konstruktion aus Bühnenwirklichkeit und der Realität des Alltagsgeschäfts bisweilen sogar schizophren an. Was in der Realität der Bühne unumstritten ist, der Wille zur Erhellung, ist in der Wirklichkeit der Betriebsverhältnisse nicht immer zu erkennen. Die Vorwürfe von Machtmissbrauch, Übergriffen und überholten Strukturen stehen im Raum. Inzwischen haben Initiativen wie „Me too“ und andere sich daran gemacht, Licht ins Dunkel betrieblicher Verwerfungen zu bringen. Nicht immer ist dabei wirkliche Erhellung gelungen. Zumindest ist die Sensibilität für Machtmissbrauch und Übergriffe gewachsen und die Diskussion angestoßen. Einmal mehr hilft auch da Goethe. „Mehr Licht“, muss auch die künftige Forderung für die Alltagswirklichkeit des Theaterbetriebs im Sinne erhellender Transparenz lauten.
Eva-Maria Reuther