Jean Claude Berutti © Marco Piecuch
Wenn er über das Theater spricht, kommt die Liebe zu Wort. Aber keine, die sich schwärmerisch
oder gar blauäugig verliert. Jean-Claude Beruttis Hingabe an die Kunst der Bühne ist leidenschaftlich,
aber dennoch analytisch klarsichtig. Da mag man seine Herkunft aus dem Land Voltaires erkennen.
Ihn auf den französischen Rationalisten zu beschränken, wäre indes einseitig. Ganz schnell kommt
im Gespräch mit dem französischen Regisseur auch sein Feinsinn, seine Liebe zur Literatur, Poesie
und zur Musik zum Vorschein. Seit dieser Spielzeit ist der 1952 in Toulon geborene Franzose Direktor
des Musiktheaters Trier. Bereits seine erste Inszenierung von Mozarts „Don Giovanni“ hat ihn als
einen Theatermacher mit klarer Haltung und bildnerischer Phantasie ausgewiesen. In Trier sei er sehr
gern sagt Berutti. Die Arbeit mit einem festen Ensemble und die daraus resultierende Möglichkeit,
nachhaltiger künstlerische Gemeinschaftsarbeit mache ihm große Freude.
Theaterspiel und Literatur gehören zu den Grunderfahrungen des Sohns eines Lehrerehepaars mit
französisch-italienischen Wurzeln. Dem kleinen Jungen kaufte der Vater Handpuppen zum Spiel und
natürlich Bücher. Deren Welt hielt das Kind in der dörflichen Umgebung des Elternhauses lange für
die eigentliche. Auch wenn sich der Bick weitete, den Büchern wie dem Theater blieb der Student
der Literaturwissenschaft treu, der sich neben der Wissenschaft in einer Theatergruppe engagierte.
Endgültig waren die Würfel gefallen, als Berutti an die Schule des Theâtre National de Strasbourg
wechselte. Dort war sein Lehrer der Zauberlehrling des großen Giorgio Strehler, der legendäre Klaus
Michael Grüber, dem bis heute der Ruf eines Theatermagiers anhaftet. Überhaupt das Magisch-
Mystische: das sei etwas typisch Deutsches, findet der Regisseur, so wie der Expressionismus, dessen
„Ecce homo“ aus den Verwerfungen des Ersten Weltkriegs und seiner Zeit hervorging.
Frankreich habe hingegen den Rationalismus und den Surrealismus. Jedes davon ist dem notorischen
Grenzgänger Berutti unverzichtbarer Teil europäischer Kultur. „Diese Vielfalt, das ist Europa“ sagt
der Musiktheater-Chef. Vielfalt schätzt er auch künstlerisch, auch die des modernen Regietheaters.
Gerade hat er an den Kammerspielen Hamburg mit einhellig medialer Zustimmung die Satire „Der
rechte Auserwählte“ inszeniert, vor ein paar Jahren am Schauspiel Dortmund „Kabale und Liebe“.
Sartre und Beckett sind ihm ebenso wichtig wie Schiller, Kleist oder eine Mozart-Oper. Ein ebenso
gebildeter wie im Wortsinn um-sichtiger Regisseur ist Berutti, der mit den großen Inszenierungen des
Theaters wie seinen Olympiern vertraut ist. Als visualisierter Inhalt muss Theater für ihn Sinn stiften.
Seine szenische Arbeit entwickelt der Regisseur aus der Sprache, die ihm eine Art Leitmedium ist. Das
gilt auch für seine Musiktheater- Inszenierungen, in denen die Stimme, wie er sagt „die Hauptrolle“
spielt. Ein wenig erinnert das an Dimiter Gotscheffs Glauben an jene Sprache, die „das Gedächtnis
des Körpers in Bewegung setzt“. Existentielle künstlerische Vielfältigkeit, stellt sich auch in Beruttis
Biografie dar. Bis 2001 arbeitete er regelmäßig am Belgischen Nationaltheater (TNB). Anschließend
leitete er bis 2011 die Comédie in St.Etienne und die angegliederte Schauspielschule. Zu lang ist die
Liste seiner Inszenierungen in Deutschland und anderen europäischen Ländern, aber auch in
Russland, um im Einzelnen aufgezählt zu werden. Permanenten geistigen Aufbruch belegt darin
seine Vorliebe für Sprech-und Musiktheaterstücke außerhalb des Standardrepertoires. Die
Inszenierung seiner Goldoni Trilogie „Zelinda und Lindoro“ wurde 2007 bei der Biennale von Venedig
mit dem „Goldenen Löwen“ ausgezeichnet. „Ohne Theater und Literatur ist kein Leben“, das ist für
den neuen Chef des Musiktheaters klar. Dabei müsse das Theater dynamisch bleiben, sich neuen
Impulsen und Erzählformen öffnen und den Diskurs pflegen. „Ich wünsche mir ein Theater der
Debattenkultur“-so Berutti.
Eva-Maria Reuther