Mikroplastik in Vietnam © F. Bagusche
Kunststoffe, oder umgangssprachlich Plastik, sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken und in vielerlei Hinsicht eine großartige Erfindung. Ein gut funktionierender Alltag und Fortschritt in Medizin, Wissenschaft und Technik wäre heutzutage ohne Plastik nicht mehr möglich. Der Siegeszug des auf Erdöl-basierenden Materials nahm in den frühen 1950er-Jahren seinen Anfang, als die großindustrielle Herstellung begann. Seitdem ist die weltweite Produktion auf über 400 Millionen Tonnen jährlich angestiegen und soll sich bis zum Jahr 2050, so die Plastikindustrie, vervierfachen. Kunststoffe gibt es in vielerlei Form und Gestalt. Sie sind günstig in der Herstellung, beständig in Bezug auf Temperatur, Licht und Chemikalien und durch die Beimischung von Zusatzstoffen regulierbar in ihrem Härtegrad, der Bruchfestigkeit und ihrer Elastizität und daher vielfältig einsetzbar. Prozentual werden Kunststoffe am meisten in der Verpackungsindustrie verwendet (mehr als ein Drittel), gefolgt vom Bausektor, der Textilindustrie, der Gebrauchswarenindustrie, Transport und Verkehr sowie in Elektronik und Industriemaschinen.
Vom Segen zum Fluch
So unverzichtbar Kunststoffe in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens geworden sind, man denke nur an Kommunikation und Verkehr, so hat sich der anfängliche Segen in einen Fluch verwandelt – denn aus einem Wertstoff ist ein Wegwerfstoff geworden. Und weggeworfen werden Produkte aus Kunststoff immer schneller und immer mehr, denn Verpackungsmaterialien und Einwegartikel aus Plastik landen nach kurzem, bzw. einmaligem Gebrauch, im Müll. Pro Kopf verursachten die Deutschen im Jahr 2016 im Schnitt 38 kg Plastikverpackungsabfälle. Damit liegen wir auf Platz 4 in der EU und nur knapp hinter Luxembourg (50,5 kg), Irland (46,2 kg) und Estland (42,2 kg).
Landet der Plastikmüll in Deutschland im gelben Sack, so heißt das jedoch nicht, dass der Abfall zwangsläufig recycelt und wieder einem Wertstoffkreislauf hinzugefügt wird. Tatsache ist, dass mehr als die Hälfte des Plastikmülls energetisch verwertet, also, anstatt fossiler Brennstoffe, verbrannt wird. Der Rest wird stofflich verwertet. Das bedeutet, dass ein Teil in Deutschland wieder zu dem sogenannten Rezyklat weiterverarbeitet wird, welches wieder zur Herstellung von Kunststoffprodukten dient. Ein anderer Teil wird zum „Recycling“ ins Ausland verschifft.
In Zahlen heißt das, dass im Jahr 2017 von 5,20 Millionen Tonnen Plastik-Abfällen, 3,15 Millionen Tonnen verbrannt wurden, 1,26 Mio. Tonnen (nur 15,6% !) zur Rezyklat verarbeitet und der Rest, also 0,71 Mio. Tonnen ins Ausland verschifft wurden.
Perverser Export von Plastikmüll mit verheerenden Folgen
Weltweit steht nach den USA und Japan Deutschland an Platz drei als Hauptexporteur von Recyclingmüll, welcher in Entwicklungsländer wie Malaysia, Indonesien und Vietnam verschifft wird. Der Müll, den wir so sorgsam in Deutschland getrennt und in den gelben Sack entsorgt haben, landet in Ländern, die schon mit der richtigen Entsorgung ihres eigenen Mülls heillos überfordert sind! Von dort ist der Weg ins Meer nicht mehr weit und weltweit gelangen über Bäche und Flüsse, welche als Transportstrassen dienen, knapp 13 Millionen Tonnen Plastikmüll in die Meere. Das macht im Schnitt etwa eine Müllwagenladung pro Minute! Es wird angenommen, dass sich mit der Zunahme der Plastikproduktion auch die Müllmenge bis zum Jahr 2050 vervierfacht. Im Klartext bedeutet das, dass es in 30 Jahren mehr Plastikteile als Fische in den Ozeanen gibt. Unvorstellbar und doch bald traurige Wirklichkeit, werden Produktion und Konsum nicht drastisch reduziert!
Auswirkungen auf Meeresbewohner
Mittlerweile befinden sich in etwa 86 Millionen Tonnen Plastik in unseren Ozeanen – das meiste schwimmt in der Wassersäule und lagert sich in der Tiefsee ab. Technisch sind wir derzeit gar nicht in der Lage diese unvorstellbaren Mengen Müll jemals wieder aus dem Meer zu fischen. Initiativen, die behaupten die Meere vom Plastik befreien zu können, sind schon deswegen verfehlt, weil nur 0,5% des Plastikmülls an der Meeresoberfläche schwimmt Ein Teil dieses Mülls konzentriert sich in fünf ozeanischen Wirbeln und bildet die sogenannten „Müllteppiche“. Der größte dieser Müllteppiche liegt im Nordpazifik und ist 4,5x so groß wie Deutschland. Diese Müllteppiche darf man sich aber nicht wie eine solide Fläche von Plastikmüll vorstellen, sondern eher als eine Mischung aus kleinsten Plastikteilen, dem sogenannten „Mikroplastik“ und alten Fischernetzen, auch „Geisternetze“ genannt. Als Mikroplastik werden Plastikteile bezeichnet, die maximal 5 mm groß sind und man unterscheidet zwischen primärem und sekundärem Mikroplastik. Primäres Mikroplastik wird z. B. als kleine Plastikpellets für Kosmetikprodukte hergestellt, während sekundäres Mikroplastik durch Umwelteinflüsse spröde wird und in immer kleinere Teile zerfällt. Eine Plastikflasche zum Beispiel braucht ca. 450 Jahre, eine Plastiktüte 100 Jahre und eine Zigarettenkippe bis zu 10 Jahre, um vollständig in kleinste Plastikpartikel zu zerfallen. Plastik, welches auf Erdöl bzw. Erdgas basiert, ist nicht biologisch abbaubar und stellt enorme Gefahren während seines gesamten Lebenszyklus für die an Land und im Meer lebenden Tiere dar.
Werden diese Plastikteile von Tieren wie Walen, Fischen, Seevögeln und Meeresschildkröten mit ihrer natürlichen Nahrung verwechselt, nehmen diese auch Giftstoffe mit auf. Denn Zusatzstoffe im Plastik, wie Flammschutzmittel und Weichmacher, sind giftig und somit nicht nur für uns Menschen gesundheitsschädlich. Zudem geben die Plastikpartikel nicht nur die schon enthaltenen Giftstoffe ab, sie akkumulieren sie auch, denn Plastik bindet wie ein Schwamm, der eine Flüssigkeit aufnimmt, Umweltgifte. Diese ans Plastik gebundenen Schadstoffe werden dann im Körper der Tiere gelöst, können sich dort im Gewebe anreichern und zu gesundheitlichen Problemen und sogar zum Tod der Tiere führen. Landen belastete Fische oder Schalentiere dann bei uns auf dem Teller, nehmen schlussendlich auch wir die hochgiftigen Schadstoffe mit auf, mit unabsehbaren gesundheitlichen Folgen.
Kleine Schritte, große Wirkung
Um der stetig wachsenden Plastikflut Herr zu werden, sind wir alle gefragt. Auch wenn es zunächst scheint, als würden kleine Änderungen im Alltag im Großen nicht viel Wirkung zeigen, so entspricht das nicht der Wahrheit. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass 35 Prozent des gefundenen Mikroplastiks im Meer aus abgebrochenen Fasern unserer synthetischen Kleidung bestehen und 28 Prozent vom Reifenabrieb der Autos stammen. Fährt man weniger Auto, vermeidet man beim Kauf von neuer Kleidung Stoffe aus Polyester, Nylon, Acryl und anderen auf Erdöl basierenden Stoffen und wäscht man schon vorhandene Kleidung aus Kunstfasern bei niedriger Temperatur, so gelangt weniger Mikroplastik in unsere Umwelt. Gerade beim ersten Mal waschen und bei Temperaturen ab 40°C brechen die meisten Kunstfasern ab. Diese sind so klein, dass nicht alle Fasern aus dem Schmutzwasser in den Kläranlagen herausgefiltert werden können. Über unsere Bäche und Flüsse gelangen sie dann ins Meer. Aber auch der Verzicht von Kosmetika die Mikroplastik enthalten, ist hilfreich. Gängige Kunststoffe in Kosmetik-und Körperpflegeprodukte sind z. B. „Acrylate Coplymer (AS)“ und „Polyethylene (PE)“. Das Mikroplastik in Duschgels, Peelings oder Make-ups gelangt über das Waschwasser in die Kläranlagen und wird nur zum Teil herausgefiltert. Aber auch die Mikroplastikpartikel und -fasern die herausgefiltert werden können, landen früher oder später in der Umwelt, denn der Klärschlamm aus den Kläranlagen wird teilweise zu Düngemitteln verarbeitet. Wird dieser mit Mikroplastik angereicherte Dünger dann auf Äcker ausgetragen, werden diese kontaminiert. Man geht davon aus, dass die Mikroplastikbelastung unseres Erdreichs bis zu 23-Mal höher ist als die im Meer.
Produkte meiden, die Mikroplastik enthalten!
Um dem entgegenzuwirken, können Ratgeber von Greenpeace und dem BUND helfen, Mikroplastik in Kosmetika zu erkennen und zu vermeiden. Mit den Smartphone-Apps „CodeCheck“ und „ToxFox“ kann man zudem den Strichcode der Produkte scannen und wird auf giftige Inhaltsstoffe sowie Mikroplastik hingewiesen. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte auf zertifizierte Naturkosmetik umsteigen, denn diese enthält weder Mikroplastik noch andere Schadstoffe. Mittlerweile lassen sich Produkte wie Duschgel, Shampoo und Zahncreme mit einer großen Auswahl an Produkten ersetzen, die nicht in Plastik verpackt sind und kein Mikroplastik enthalten.
Auch beim Einkauf von Lebensmitteln kann ganz einfach an Plastikverpackungen gespart werden. Kauft man auf Märkten Obst, Gemüse und Brot unterstützt man nicht nur die lokalen Erzeuger und verkleinert seinen CO2-Fußabdruck, man produziert auch weniger Verpackungsmüll, da die Produkte zumeist lose verkauft werden.
Wir brauchen wirksame Gesetze zur Vermeidung von Plastikmüll
Dennoch muss vor allem die Politik die Industrie in die Verantwortung nehmen und, anstatt auf Dialog und freiwilligen Verzicht von übermäßigen Plastikverpackungen sowie Mikroplastik in Kosmetik- und Pflegeprodukten zu setzen, endlich bindende Vorschriften zum Schutz der Umwelt gegen diese Plastikmüllflut durchsetzen. In Deutschland wird immer noch an den guten Willen der Hersteller appelliert – während, wie eine Forschungsgruppe um Thomas Mani bereits 2015 herausfand, täglich mindestens 192 Millionen Mikroplastikpartikel vom Rhein in die Nordsee gelangen. In einer einzigen Probe aus dem Rhein wurden sogar 3,9 Millionen Mikroplastikpartikel pro Quadratkilometer Wasseroberfläche gefunden! Die »freiwillige Selbstverpflichtung« auf die bisher gesetzt wird, ist ein Kniefall vor der Industrie und wird kaum das Problem der Umweltverschmutzung durch Mikroplastik lösen. Einzig strikte Gesetze zum Einsatz von Mikroplastik bzw. Wegwerfplastik im Allgemeinen sowie eine effektivere Aufbereitung der Abwässer werden zu einer Verbesserung der Situation führen.
Wir müssen endlich anfangen, die Verantwortung für unseren immer weiter ansteigenden Konsum und der darauf folgenden Müllproduktion selber zu tragen, damit nachfolgende Generationen eine Umwelt vorfinden, die gesund und lebenswert ist und die Kinder der Zukunft Meerestiere nicht nur aus dem Museum kennenlernen.
Frauke Bagusche im OPUS Kulturmagazin Nr. 79 (Mai/Juni 2020) zum Schwerpunktthema Nachhaltigkeit
Die Autorin Dr. Frauke Bagusche (www.frauke.bagusche.com), Jahrgang 1978, ist Meeresbiologin. Nach ihrem Biologie¬ Studium in Frankfurt/Main forschte sie an den Unis Wien und Paris¬ Sud an verschiedenen Meeresorganismen. Nach ihrer Promotion über die Auswirkungen des Klimawandels auf marine kalkbildende Organismen am National Oceanography Centre und der University of Southampton in England leitete sie zwei meeresbiologische Stationen auf den Malediven und segelte mit der „Aquapower-Expedition“ 9500 km von der Karibik durch den Atlantik ins Mittelmeer, um auf die Vermüllung der Ozeane aufmerksam zu machen. Die derzeit in Saarbrücken lebende Meeresbiologin ist freiberufliche Dozentin, Buchautorin von dem Spiegel-Beststeller „Das Blaue Wunder“ (erschienen am 27. Mai 2019 bei Ludwig) und Gründerin des
Weiterführende Informationen und Publikationen:
- „Das blaue Wunder – Warum das Meer leuchtet, Fische singen und unsere Beziehung zum Meer so besonders ist“ von Frauke Bagusche. Erschienen 2019 im Ludwig Verlag. 22 Euro. Erstaunliches passiert unter Wasser: Das Meer leuchtet nachts geheimnisvoll, kleinste Organismen (das Plankton) haben die größte Macht, und Fische sind keineswegs stumm, sondern kommunizieren lauthals miteinander. Die Meeresbiologin Dr. Frauke Bagusche erzählt faszinierende Geschichten von den kleinsten und größten Lebewesen im Meer und erklärt auch, warum das Meer so dringend unsere Hilfe braucht.
- Der „Plastikatlas“ der Heinrich Böll Stiftung und dem BUND. Kostenlos
- codeCheck-App: https://www.codecheck.info/
- ToxFox-App: https://www.bund.net/chemie/toxfox/