Die vom Völkerbund eingesetzte Regierungskommission des Saarlandes v.l.n.r. Bartolomäus Koßmann, George Washington Stephens, Victor Rault, Jacques Lambert und Dr. Franz Vezensky © Saarl. Landesarchiv, gemeinfrei
Ab 1850 entstand mit der industriellen Revolution an der Saar das drittgrößte Schwerindustriegebiet Preußens, ab 1871 des Deutschen Kaiserreiches. Das Ruhrgebiet und das Oberschlesische Revier waren größer. Nach der Annexion Elsass-Lothringens umfasste das Saarrevier die Gebiete oder Teile von fünf preußischen Landkreisen, drei bayerischen Bezirksämtern und drei lothringischen Landkreisen. Basis für die industrielle Entwicklung war das Steinkohlevorkommen, das die Energie lieferte und die Grundlage war für die Produktion von Eisen und Stahl. Das jenseits der Mosel liegende Minettevorkommen – ein Lager eines nicht hochwertigen Eisenerzes – war erst spät die Basis eines größeren Schwerindustriegebietes, das das westliche Lothringen und Luxemburg mit umfasste. Wegen seines hohen Phosphorgehaltes konnte die Minette erst am Ende des 19. Jahrhunderts mit Hilfe des damals entdeckten Thomas-Verfahrens (nach 1880) in der Stahlproduktion eingesetzt werden. Die Südwestliche Gruppe des Vereins deutscher Eisen- und Stahlindustrieller umfasste dieses größere Schwerindustriegebiet und war der Vorläufer der Saar-Lor-Lux-Region. Der Begriff des deutschen Südwestens verschob sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg nach Baden-Württemberg.
Diese Südwestliche Gruppe des Vereins deutscher Eisen- und Stahlindustriellen hatte ihren Sitz in Saarbrücken und wurde von der dortigen Handelskammer aus geleitet. Ihr Geschäftsführer Alexander Tille bestimmte in der Nachfolge des Freiherrn von Stumm-Halberg die Politik der schwerindustriellen Unternehmer der Region. Er setzte sich erfolgreich für den Zusammenschluss der drei Saarstädte Saarbrücken, St. Johann und Malstatt-Burbach zur neuen Großstadt Saarbrücken 1909 ein. Das preußische Gebiet gehörte verwaltungsmäßig zum Regierungsbezirk Trier, der nach Norden weit in die landwirtschaftlich geprägte Eifel reichte. Seine Hauptstadt Trier lag weit von dem Schwerindustriegebiet entfernt an der Mosel. Tille schlug daher auch vor, einen eigenen Regierungsbezirk um Saarbrücken herum zu bilden. Seit der Französischen Revolution und dem Verschwinden der Grafschaft Nassau-Saarbrücken, die in etwa den heutigen Regionalverband Saarbrücken und den Landkreis Neunkirchen – früher Ottweiler – umfasste, hatte es kein Territorium und keine Verwaltungseinheit mehr gegeben, die den Kern des heutigen Bundeslandes Saarland umfasst hätte.
Nach seinem Sieg im Ersten Weltkrieg und der Rückübernahme Elsass-Lothringens strebte Frankreich an, das gesamte deutsche Schwerindustriegebiet an der Saar zu annektieren, scheiterte aber am Widerstand des US-Präsidenten Woodrow Wilson. Im Versailler Vertrag, in Kraft getreten am 10. Januar 1920, wurden als Entschädigung für die auf den Steinkohlegruben der Departements Nord und Pas-de-Calais während der Schlachten und der Grabenkämpfe des Weltkrieges angerichteten Schäden die Saargruben – sowohl die Staatsgruben Preußens und Bayerns als auch die meisten Privatgruben – dem französischen Staat zur Ausbeutung übergeben. Deren Arbeitereinzugsgebiet wurde der Verwaltung des Deutschen Reiches entzogen und dem neu gegründeten Völkerbund – einem Vorläufer der Vereinten Nationen – übertragen. Mit der Übernahme der Verwaltung durch die internationale Regierungskommission am 26. Februar 1920 entstand erstmals wieder eine Verwaltungseinheit, die zur Grundlage für das heutige Bundesland Saarland wurde. Das Saargebiet war im Westen und im Norden kleiner als das heutige Saarland.
Während das Deutsche Reich mit der Weimarer Reichsverfassung eine demokratische Staatsverfassung erhielt, fehlten im Saargebiet viele demokratische Elemente. Die gesamte Rechtsentwicklung der Revolution im Deutschen Reich galt nicht an der Saar; hier wurde der Rechtszustand vom 11. November 1918 mit Ausnahme der Bestimmungen des Kriegszustandes festgeschrieben. Die Regierungskommission des Saargebietes war nicht der Bevölkerung, sondern nur dem Völkerbundsrat in Genf verantwortlich. Der Versailler Vertrag hatte lediglich bestimmt, dass ein Saarländer – Frauen sah man noch nicht vor – unter den insgesamt 5 Mitgliedern der internationalen Regierungskommission sein sollte. Die zwei Vertreter bekannter saarländischer Familien – Alfred von Boch aus einer der Besitzerfamilien der Keramikwerke Villeroy & Boch und Jacob Hector aus einer bekannten frankophilen Saarlouiser Familie – amtierten nur kurze Zeit. Erst 1924 wurde ein Politiker, das ehemalige Reichstagsmitglied der Zentrumspartei und der Arbeitervertreter Bartholomäus Koßmann, bis 1935 in die internationale Regierungskommission berufen
§ 23 der Anlage zu den Artikeln 45 bis 50 des Versailler Friedensvertrages, die die Rechtslage des „Saarbeckengebietes“ behandelten, bestimmte zur Legislative, dass notwendige Veränderungen der Gesetze „von der Regierungskommission nach Anhörung der gewählten Vertreter der Einwohner beschlossen und ausgeführt werden. Die Form dieser Anhörung bestimmt die Kommission.“ Die Regierungskommission hörte daher zuerst alle Kreis- und Bezirkstage des Saargebietes an. Gebunden war sie an deren Beschlüsse aber nicht. Erst 1922 wurde ein Landesrat von der Bevölkerung – und zwar von Männern und Frauen – diese Neuregelung im Deutschen Reich galt auch an der Saar – gewählt und ein Studienausschuss eingerichtet. Der Landesrat sollte nicht wie ein normales Parlament agieren dürfen. Sein Präsident wurde von der Regierungskommission ernannt, zuerst, ohne dass er gewähltes Mitglied des Landesrates gewesen wäre. Bereits bei der Erörterung der Geschäftsordnung kam es zu Konflikten mit der Regierungskommission. Diese wollte jede allgemeinpolitische Diskussion und jede Kritik an den Bestimmungen des Versailler Vertrages unterbinden. Dies gelang ihr allerdings nicht. Die Fraktionen des Landesrates schickten ohne Beteiligung der Kommunisten erfolgreich Delegationen zum Völkerbund nach Genf, die dort auch angehört wurden. Es gelang den französischen Einfluss an der Saar zu verringern und die angelsächsischen Länder für die Interessen der Saarbevölkerung zu gewinnen. Dadurch wurde das Selbstbewusstsein der Saarländer gestärkt. Als nach der Volksabstimmung vom 13. Januar 1935 das jetzt Saarland genannte Saargebiet nicht wieder in seine preußischen und bayerischen Bestandteile aufgeteilt wurde, konnte dies bis heute weiterwirken.
Michael Sander im OPUS Kulturmagazin Nr. 77 (Januar / Februar 2020) auf S. 152 f.
Veranstaltungstipp:
„Die Verwaltung des Saarbeckengebietes durch die Regierungskommission des Völkerbundes“ Vortrag von Archivdirektor a. D. Michael Sander, Präsident des Landesverbandes der historisch-kulturellen Vereine des Saarlandes e. V. 26.2. um 18 Uhr in der ehemaligen Französischen Botschaft (Pinguisson-Bau)