Theaterkritik zu Sébastien Jacobis Stück „Der Mann der lacht“
von Kurt Bohr
Sébastien Jacobi hat frei nach dem Roman <L’homme qui rit> (in der deutschen Übersetzung „Der Mann, der lacht“) des großen französischen Dichters Victor Hugo eine Bühnenfassung geschaffen, die er am 14. September in der Alten Feuerwache des Saarländischen Staatstheaters auf die Bühne brachte. Es geht um die Geschichte eines jungen Engländers aus hohem Adel, dessen Vater zum Tode verurteilt wurde, weil er den König beleidigt hatte. Der Regent verkaufte den Knaben an die als „Comprachicos“ (Kinderkäufer) benannte Zirkusgruppe. Deren Mitglied Hardquanonne wird dargestellt von der mit komödiantischer Süffisanz brillierenden und per Video zugeschalteten Theaterveteranin Elfie Elsner, die noch aus der Truppe des früheren Landestheaters stammt. Per Video zugeschaltet, brüstet sie sich ihres chirurgischen Könnens, mit dem sie dem adeligen jungen Gwynplaine eine dauerhafte Lachfratze ins Gesicht operiert habe. Als ihre Truppe England fluchtartig verlassen musste, habe man den 10-jährigen Jungen am Strand ausgesetzt. Dort fand und barg er ein einjähriges Mädchen, das er Dea nannte, aus den Armen seiner verstorbenen Mutter; das Kind sollte sich später als Herzogin Josiane herausstellen.
Jan Hutter spielt den geknickten Helden Gwynplaine einfühlsam und ohne übertriebene Klagen, obwohl ihn das Schicksal arg gebeutelt hat. Geführt wird er in der Zirkustruppe von der wie immer stark agierenden Christiane Motter, die dort als „Ursus“ einen Bären mimt und alle wunderbaren Facetten Ihres schauspielerischen Repertoires in die Waagschale wirft. Besonders beeindruckend ist, wie sie ihre zwiespältigen Gefühle zwischen Führung und Leiden zum Ausdruck bringt.
Martina Struppek gibt die Königin Anna mit dem ihr eigenen resoluten Auftritt, aber auch mit der schnodderigen Härte einer wenig empathischen Monarchin, der das Leben ihrer Untertanen nicht viel bedeutet.
Wie das gesamte Ensemble agiert Laura Trapp in ihrer Dopppelrolle als blinde Dea mit dunkler Brille und als eiskalte Herzogin souverän, und gekonnt changierend zwischen dem liebevoll wehmütigen Mädchen und der knallharten Herzogin, der es nur darum geht, von Titel und Prestige des hochadeligen Gwynplaine zu profitieren, völlig ungeachtet seiner entstellenden Fratze. Aus dem Hofstaat von Königin Anna verkörpert scharfzüngig, spitzfindig und überzeugend Eva Maria Bauer die verschlagen-intrigante Hofdame Barkilphedro, während der trefflich agierende Christoph Iacono als Hofmusiker glänzt. Er zeichnet auch verantwortlich für das unterhaltsam gelungene Musikarrangement der Aufführung.
Nachdem Gwynplaine über seine und Deas Herkunft aufgeklärt ist, endet die Vorstellung in der Schwebe. Er legt seine Lachmaske ab, wird an ein Seil geschnallt und in die Höhe gezogen, verharrt in der Luft. Danach fällte der Vorhang.
Das Stück begann, sozusagen von außen nach innen, indem uns das Ensemble per Video (perfekt professionell gestaltet vom Ghazal AlDakr) auf dem Platz vor der Alten Feuerwache präsentiert wurde, um dann wie eine Zirkustruppe in den Theatersaal einzumarschieren. Das Videospiel setzt sich noch eine Weile fort, mit dem Vorzug, dass man das Minenspiel der Protagonisten aus nächster Nähe verfolgen kann. Das sperrige in sich schlüssige Bühnenbild stammt von Jennifer Hörr, die auch die Kostüme gestaltet hat. In der der Szenenmitte zeigt sich eine Art großer Schrank, dessen Fassade aus zwei Türen und rechtwinkligen, mehr oder weniger durchsichtigen, Glasfenstern besteht. Hinter den Fenstern scheinen sich die ProtagonistInnen zu verstecken und durch die Türen gelangen sie auf die Vorderbühne oder treten wieder ab, sofern das Geschehen nicht vor oder neben dem Schrankaufbau stattfindet. Der Schrank im Laufe der Aufführung in der Mitte aufgetrennt, die Glasscheibe werden aus der Fassade entfernt und es entsteht eine große Furt, die den SchauspielerInnen das Zentrum der Wahrnehmung öffnet.
Die Inszenierung ist am Anfang nicht gerade leicht verdaulich. Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, die erhellende Erklärung zu Beginn des zweiten Teils an den Anfang zu stellen. Darüber kann man streiten. Nicht einfach war es auch, den schönen Songs, die in Englisch und Französisch vorgetragen wurden, vom Sprachverständnis her zu folgen.
In jedem Fall aber war der erste Teil schwere Kost. Außer in den direkt dialogischen Passagen wirkt der Vortrag wie eine Aneinanderreihung von philosophisch orientierten Zitaten, es fehlt der rote Faden. Das war möglicherweise der Grund, warum einige aus dem Publikum nach dem ersten Teil des Stücks das Haus verließen und so wahrlich Wesentliches versäumten.
Starker Beifall, allerdings von überschaubarer Länge.