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Theater Trier: Wenn die Geschichte das Tanzbein schwingt

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Wilder Tanz auf dem Vulkan der 20iger Jahre © Martin Kaufhold

Der Zeitgeist tanzt wie eh und je. Gerade lässt René Pollesch seinen „Glauben an die völlige Erneuerung der Welt“ im Berliner Revue-Tempel Friedrichstadtpalast abtanzen. Am Theater Trier vertraut Manfred Langners Geschichts-Revue dagegen solcherart Innovation nicht. Er fürchtet vielmehr, angesichts einer erstarkenden AfD und ihres Rechtspopulismus, die Wiederauflage der Vergangenheit. Soll heißen der 20iger Jahre mit ihrem aufkommenden Nationalsozialismus.

Unter dem Titel „ Ein Tanz auf dem Vulkan“ lässt der Regie führende Intendant am Beispiel Trier das wilde, aber reichlich falschgoldene Jahrzehnt Revue passieren (Musikalische Leitung Horst Maria Merz). Die Geschichte wiederhole sich, wird das Publikum gleich eingangs gängig belehrt. Um solcher Zwangsläufigkeit zu entgehen, empfiehlt sich der antike Thukydides, der darauf hinweist, dass Geschichte vor allem das Verhalten von Menschen unter bestimmten Umständen ist. Um seiner düsteren Vision Nachdruck und Aktualität zu verleihen, inszeniert Langner sein Stück als Generalprobe einer Silvester-Revue zum Ende des Jahrzehnts in einer dystopischen Kulturlandschaft. Geprobt wird dort unter der Aufsicht des „Kulturbeauftragten“ einer Institution, die sich analog zur Reichskulturkammer des Dritten Reichs, Bundeskulturkammer nennt. Grundsätzlich ist das ein schlüssiges Konzept. Was sich allerdings als Bühnenwirklichkeit darstellt ist kaum mehr als eine flotte Nummernrevue aus Tanz und Gesang, versetzt mit wenig erhellenden und schon gar nicht tief tauchenden schauspielerischen Einlagen.

Dass der Abend trotzdem unterhaltsam ist, verdankt sich vor allem der Musik. Die knapp drei Stunden vergehen im Flug mit musikalischen Dauerbrennern von „Tiger Rag“ bis „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“. Zum Ende, wenn es ernst wird, werden zeitkritische Texte von Kästner, Brecht und Tucholsky vorgetragen. Das sind die stärksten Momente des Abends. Dazwischen gibt es anekdotisch neben Trierer Geschichte, Rechtspopulistisches und Nationalsozialistisches. Zu Letzterem macht die Revue Anleihen bei Zadeks legendärer Fallada Revue, wie dem Hitler-Doppelgänger-Motiv  und dem des dunkelhäutigen Führers. Auch „Cabaret“  lässt grüßen. Aber geschenkt! Allemal sind gute Anleihen besser als schlechte Originalität.

Auf die Drehbühne hat dazu Beate Zoff, ein riesiges Grammophon gebaut, auf dessen „Plattenteller“ das hochengagierte Tanzorchester Horst Popocarapati & seine Swinging Volcanos sitzt. Auf die Bühnenwand dahinter projiziert sie historische Aufnahmen aus Trier und  zur Zeitgeschichte. Eine geschwungene Revue Treppe flankiert das Orchester. Die wird von der wenig einfallsreichen Choreographie von Alina Schaumburg eher spärlich bespielt. Das Schreiten darauf muss schließlich gekonnt sein. Am besten schafft das Stephanie Theis, die als Conferencière neuerlich ihr Showtalent beweist, auch wenn sie als Sängerin an ihre Grenzen gerät.

Im übrigen stellen sich „Trier und die zwanziger Jahre“ – so der Untertitel der im Stil der Zeit ausgestatteten Revue (Kostüme Monika Seidl) –  weithin so dar, wie die Verhältnisse anderswo. Es geht chronologisch geordnet gleichermaßen um die alliierte Rheinland-Besetzung, die bedrückenden wirtschaftlichen Folgen der Versailler Verträge, um Wirtschaftskrise, Inflation, Arbeitslosigkeit, Wahlen, die Erstarkung der NSDAP, wie um die Erfindung des Kühlschranks und des Ventilators, um die ersten Radios und den Besuch des Zeppelins. Für die vertriebene und später terrorisierte jüdische Bürgerschaft steht Louis Scheuer. Klaus Michael Nix gibt den Besitzer einer angesehenen kaufmännischen Privatschule, Verleger, Karnevalsaktivisten und erfolgreichen Autor als gesetzten leicht biederen Kaufmann. Was Trier in den Goldenen Zwanzigern an ortsspezifischen Innovationen über das Café Astoria hinaus zu bieten hatte, bleibt praktisch außen vor. So wie die Vorgänger-Institutionen der heutigen Hochschule, mit ihren zum Teil ausgesprochen fortschrittlichen Lehrern, darunter der Anhänger der Reformarchitektur und „Lebensreform“  Hans Proppe, der Kontakte nach Dresden, Berlin und zum Bauhaus pflegte. Oder die weltläufige aus Wien stammende Hella Leister, die auf der Höhe der Zeit ihre Modeklasse unterrichtete. Völlig überflüssig wirkt die in der Revue gezeigte Schau modischer Kuriositäten. Zu den innovativsten, hier ebenfalls unerwähnten Einrichtungen gehörte zudem das Theater, das unter seinem kaum 40jährigen Intendanten Heinz Tietjen, dem späteren Generalintendanten aller Preußischen Bühnen, eine Hoch-Zeit des Musiktheaters erlebte. Nicht weniger fortschrittlich und anspruchsvoll folgte ihm im Schauspiel von 1922-1927 der vormalige Saarbrücker Intendant Hellmuth Götze, der moderne Autoren wie Ibsen, Hauptmann und Sudermann vielfach als Erstaufführung spielen ließ. Wie heute wurde bereits damals um Geld, Fortbestand und Inhalte gestritten.

Völlig ins Leere läuft die Dystopie. Michael Hiller gibt als Bernd Lechler einen so lächerlich dumpfbackigen, anzüglichen und notorisch zu spät kommenden Kulturbeauftragten, dass es schon fast fahrlässig ist, mit so viel Harmlosigkeit rechtspopulistischer Gefahr begegnen zu wollen. Routiniert zitiert Hiller AfD Obere und ihre Fußtruppen, beschimpft die „Lügenpresse“, ertüchtigt sich körperlich in Feinripp auf der Revuetreppe und geht gern den Damen an die Wäsche. Wenn dann noch der fiktive Kulturbeauftragte den von Natur aus dunkelhäutigen deutschen Künstler Norman Stehr wegen seiner Hautfarbe attackiert, hat die Inszenierung Brechts Mittel der Illusionsbrechung gründlich missverstanden. Als schließlich Nix als Sultan Erdogan auf einem fliegenden Teppich die Treppe herabschwebt,  mitten in einen Kreis Kopftuch tragender betender Musliminnen, ist die Grenze des guten Geschmacks längst überschritten.

Unter den Tanz-und Gesangstalenten fallen einmal mehr Dimetrio-Giovanni Rupp und Norman Stehr als Gast auf. Flott ist die mit viel Spielfreude präsentierte Trierer Revue ohne Frage unterwegs. Zur differenzierten Gegenwarts- oder Vergangenheitsbetrachtung taugt sie kaum. „Wir machen Theater für das Volk“, hatte der Kulturbeauftragte angekündigt. Das allerdings hat man auch schon andernorts gehört, nicht nur von Rechtspopulisten.

Eva-Maria Reuther

Weitere Termine: 28.12.2019, 6., 8., 19. Januar 2020, jeweils 19.30Uhr

Filed Under: Kritik

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