James Dean schätzte seine Lage völlig falsch ein © Gemeinfrei
„Ein Mann, der etwas auf sich hält, sollte seine letzten Worte beizeiten auf einen Zettel schreiben und dazu die Meinung seiner Freunde einholen. Er sollte sich damit keinesfalls erst in seiner letzten Stunde befassen und darauf vertrauen, dass eine geistvolle Eingebung ihn just dann in die Lage versetzt, etwas Brillantes von sich zu geben“, legte einst der große Spötter Mark Twain seinen Mitmenschen ans Herz.
Mit den letzten Worten berühmter Persönlichkeiten ist das so eine Sache. Sie wirken in Anbetracht der Umstände häufig verdächtig „brillant“ ausgefeilt und spiegeln auf wundersame Weise wesentliche Charakterzüge des Verstorbenen. Es ist in der Regel kaum zu klären, ob ein Sterbender die ihm zugeschriebenen Worte tatsächlich geäußert hat, falls er nicht Mark Twains Rat befolgte und sie „prähum“ sorgfältig notierte. Meist ist es ja ein mehr oder weniger zuverlässiger Zeuge, der dem Dahinscheidenden seine letzte Botschaft abnimmt.
„Mehr Licht“ soll Goethe ausgerufen haben, kurz bevor er am 22. März 1832 in Weimar das Zeitliche segnete. Dieses legendäre Zitat ist wie für den Dichterfürsten „gemacht“ und bietet reichlich Raum für Interpretationen. Tatsächlich handelt es sich hier wohl nur um einen Auszug, der vollständige Satz liest sich ungleich banaler: „Macht doch den zweiten Fensterladen auch auf, damit mehr Licht hereinkomme.“ Hans Halter, der in seinem Buch „Ich habe meine Sache hier getan“ Leben und letzte Worte berühmter Frauen und Männer untersucht, kommt zu einem noch profaneren Ergebnis. Mit seinen letzten Worten soll Goethe nicht nach Licht, sondern nach dem „Botschamper“ (Nachttopf) verlangt haben. Und selbigen fest in der Hand haltend sei der Weltliterat denn auch friedlich verschieden.
„Mehr Licht“ hätte natürlich viel besser zu dem deutschen Geistesriesen gepasst. Dafür erfüllte sein irischer Berufskollege Oscar Wilde (1854-1900) alle in ihn gesetzten Erwartungen. Der verarmte Dandy ärgerte sich über die scheußliche Tapete seines Pariser Hotelzimmers und bestellte Champagner auf Pump. Nach seinem letzten Schluck sagte er ironisch: „Ich sterbe, wie ich gelebt habe – über meine Verhältnisse.“ Auch Heinrich Heine (1797-1856) verlor seine ironisch-optimistische Grundstimmung im Angesicht des Todes nicht. Er starb nach den Worten: „Gott wird mir verzeihen – das ist sein Metier.“ Eine gehörige Portion Sarkasmus spricht auch aus den Abschiedsworten von Humphrey Bogart (1899-1957): „Ich hätte nie von Scotch auf Martinis umsteigen sollen“, soll der trinkfeste amerikanische Schauspieler gesagt haben.
Mit Stil ging die Königin von Frankreich Marie Antoinette (1755-1793) aus der Welt. Auf dem Weg zur Guillotine trat sie ihrem Henker versehentlich auf den Fuß und entschuldigte sich höflich mit den Worten: „Verzeihen Sie, Monsieur, ich habe es nicht absichtlich getan.“ Auch Egon Friedell, der jüdisch geborene Autor und Kulturphilosoph, blieb ganz der gelassene höfliche Wiener, als Nazi-Truppen 1938 nach dem „Anschluss“ in seine Heimatstadt einmarschieren. „Vorsicht, bitte!“ rief er nach unten, bevor er aus dem Fenster sprang. Ebenso stoisch zeigte sich der zum Tode verurteilte griechische Philosoph Sokrates vor seinem Hinscheiden. Sein Leben beschloss er mit einer Bitte von geradezu lächerlicher Bedeutungslosigkeit: „O Kriton, wir sind dem Asklepios einen Hahn schuldig, entrichtet ihm den, und versäumt es ja nicht.“, trug er einem Freund auf.
Einige letzte Worte sind indessen von tiefem Selbstzweifel geprägt. „Die Malerei muss erst noch erfunden werden!“, soll Pablo Picasso auf dem Sterbebett gesagt haben und das finale Statement von Winston Churchill war angeblich: „Welch ein Narr bin ich gewesen!“ Daran könnte sich manch ein zeitgenössischer britischer Politiker mal ein Beispiel nehmen. Der französische Schriftsteller und Philosoph Jean-Paul Sartre soll auf seinem letzten Weg gar sein ganzes Lebenswerk in Abrede gestellt haben: „Ich bin gescheitert!“
Seiner Situation nicht ganz bewusst war der Schauspieler James Dean, der 1955 in seinem Porsche 550 Spyder mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte und im Alter von 24 Jahren starb. Nach Angaben seines Beifahrers, der schwerverletzt überlebte, waren die letzten Worte des rebellischen Darstellers: „Der muss anhalten. Er wird uns sehen.“ Friedrich der Große (1712-1786) unterschätzte seinen Gesundheitszustand gravierend und sagte kurz nach einer quälenden Hustenattacke: „La montagne est passé, nous irons mieux“ (Wir sind über den Berg, es geht uns besser). Dann starb er. Der Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) befand sich ebenfalls im Irrtum, als er seine Ärzte mit der ihm eigenen Besserwisserei belehrte: „Ich brauche keine Medizin mehr, ich fühle dass ich geheilt bin.“ Die berühmte Tänzerin Anna Pawlowa (1881-1931) lag mit einer schweren Grippe im Hotel. Doch gewöhnt an eiserne Disziplin, wollte sie Schwäche und Lungenschmerz ignorieren und auftreten. Die letzten Worte der weltberühmten Ballerina galten ihrer Begleitung: „Legt mir mein Schwanenkostüm zurecht.“
Auch Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich verkannte völlig seine Lage: „Es ist gar nichts!“, sprach er, nachdem er 1914 in Sarajewo von tödlichen Kugeln getroffen worden war. Immerhin löste sein Tod den Ersten Weltkrieg aus und führte zum Untergang des alten Europas.
Thomas Wolter im OPUS Kulturmagazin 76 (November / Dezember 2019) auf S. 76 f. zum Schwerpunktthema „Vergänglichkeit“.