Abraham Mignon, Kopie, Vogelnest, nach 1669, Saarlandmuseum, Alte Sammlung Saarbrücken, Stiftung Saarländischer Kulturbesitz © Foto Stiftung Saarländischer Kulturbesitz
„Kunst, Reichthum, Macht und Kühnheit stirbet/ Die Welt und all ihr thun verdirbet/ Ein ewiges komt nach dieser Zeit/ Ihr thoren, flieht die Eitelkeit.“ Dies sind Worte, die der Künstler Sebastian Stoskopff 1641 auf ein Stillleben setzte, das sich heute im Besitz des Musée de l’Oeuvre Notre-Dame in Straßburg befindet. Stoskopffs Gemälde mit seinen diversen Anspielungen auf die Vergänglichkeit – u.a. sind ein Totenkopf und eine Sanduhr auf dem Werk dargestellt – ist ein typisches Beispiel für ein so genanntes Vanitas-Stillleben.
Der Begriff „Vanitas“ lässt sich aus dem Lateinischen mit Eitelkeit, leerer Schein, Nichtigkeit oder Vergänglichkeit übersetzen. Vanitas-Symbole werden in der Bildenden Kunst verwendet, um mahnend und mit moralischem Impetus auf die Endlichkeit des irdischen Daseins und die Nichtigkeit von Reichtum und Macht hinzuweisen, die in der christlichen Vorstellung im Leben nach dem Tod keinen Bestand mehr haben. Neben Darstellungen von Skeletten oder Totenköpfen auf Grabmälern und auf Porträts – mal auf der Rückseite des Bildes, mal als Attribut auf der Vorderseite – waren insbesondere Stillleben sehr beliebt, um Vergänglichkeit zu verbildlichen. Die Hochphase der Vanitas-Stillleben liegt im 17. Jahrhundert in den Niederlanden. Vor allem die calvinistisch geprägte Universitätsstadt Leiden kristallisierte sich als Zentrum heraus. Die hier entstandenen Stillleben werden gerne als zeitkritische Reaktion auf die tobenden Religionskriege, die unzähligen Pestseuchen und auf die Macht- und Prachtsucht des Barocks gesehen. Aber auch in anderen Städten der Niederlande wie in Den Haag und Haarlem sowie in katholisch geprägten Ländern wie Flandern und Frankreich malten Künstler unzählige Vanitas-Stillleben. In Deutschland gilt Frankfurt als Zentrum der Stillleben-Malerei mit Vertretern wie Abraham Mignon und Georg Flegel.
Einer der bekanntesten Künstler des Genres im Deutschland des 17. Jahrhunderts ist der in Straßburg 1597 geborene Sebastian Stoskopff, der 1657 in Idstein im Taunus verstarb. Stoskopffs „Stillleben mit Kalkskopf“ aus dem Jahr 1640 in der Alten Sammlung des Saarlandmuseums, Saarbrücken, zeigt eine Reihe von Vergänglichkeitssymbolen, welche ein Betrachter von heute nicht mehr zwangsläufig verstehen muss. Statt des menschlichen Schädels auf dem Straßburger Gemälde liegt in der Mitte der Komposition auf einem Teller ein gehäuteter Kalbskopf. Das „leere“ Auge des toten Kalbes blickt in die Leere des Messingkessels, der den rechten Bildteil dominiert. Beim abgetrennten Kopf ist der Verweis auf den Tod eindeutig, wie bei den toten Fischen und bei der bereits in Teilen gerupften Stockente. Doch auch leere Gefäße stehen für die Vanitas: für das, was nun nicht mehr da ist. Ebenso lässt sich das mit Flüssigkeit gefüllte kugelförmige Glas im Hintergrund als Vergänglichkeits-Symbol auslegen: Hier geht es um Zerbrechlichkeit, genauer: um die Fragilität des Lebens. Hinzu kommt, dass sich in dem Glas zwei Kreuze spiegeln, was als ein Verweis auf den Opfertod Christi zu verstehen ist. Auch ein Messer, das vordergründig als Hilfsmittel zum Ausnehmen der Fische dient, deutet im übertragenen Sinne auf die Verletzlichkeit und Sterblichkeit des Menschen hin.
In der Stillleben-Malerei des 17. Jahrhunderts gibt es unzählige Chiffren der Vergänglichkeit: Pflanzen, insbesondere Schnittblumen verblühen schnell, Insekten stehen für Kurzlebigkeit, Früchte im Allgemeinen verbildlichen Wohlstand und Fruchtbarkeit, und beides kann nur von kurzer Dauer sein. Raucherutensilien weisen auf den flüchtigen Moment des Genusses hin. Äußerst populär waren Luxusgüter wie Geld und Schmuck, prachtvolle Schalen und Teller sowie kostbar verzierte Gläser etc. In diesen Zusammenhang gehören auch Zitrusfrüchte, die man oftmals auf niederländischen Stillleben sieht. Zitronen waren damals recht teuer. Neben der Anspielung auf den Reichtum, der schwinden kann, spielt hier auch noch der Verweis auf die Tugend der Mäßigkeit eine Rolle, denn die sauren Früchte sollten nur sparsam verwendet werden. Die Darstellung von Luxusgütern ist allerdings keineswegs nur negativ belegt. Denn in den calvinistisch geprägten Niederlanden wurden irdischer Erfolg und Reichtum als eine Art Belohnung gesehen, die sich der fromme und gottgefällig handelnde Bürger verdient hatte. Die Dinge mahnen und ermahnen ihn, mit seinem Reichtum gewissenhaft und maßvoll umzugehen, sonst ist der Reichtum schnell wieder verloren. Bekanntlich kommt Hochmut vor dem Fall!
Was würde Stoskopff heute malen? Welche Gegenstände wären Vanitas-Symbole des 21. Jahrhunderts? Ein Smartphone? Teure Markenprodukte? Flugtickets in ferne Länder? Oder doch ein Totenkopf – obwohl der heute vielfach zum modischen Dekor verkommen ist? Wie bewusst ist sich der Mensch der Gegenwart seiner Vergänglichkeit eigentlich?
Beate Kolodziej im OPUS Kulturmagazin 76 (November / Dezember 2019) auf S. 70f. zum Schwerpunktthema „Vergänglichkeit“.
Literatur u.a.
Kat. Ausst. Stilleben in Europa, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster 1979/80; Staatliche Kunsthalle Baden-Baden 1980, Münster/ Baden-Baden 1979
Kat. Slg. Saarlandmuseum – Alte Sammlung. Die Gemälde der Alten Sammlung im Saarlandmuseum, hrsg. von Ralph Melcher, bearb. von Stefan Heinlein, Saarbrücken 2009