Elena Gilbert (Nina Dobrev) verliebt sich in der Teenie-Serie The Vampire Diaries in einen Blutsauger © Pauline Lehner
Er ist das Einhorn unter den Monstern: der moderne Vampir, der sich glitzernd und unsterblich durch die Träume zahlloser Frauen (ob jung oder alt) saugt. Seit True Blood, Twilight und The Vampire Diaries den Vampir im neuen Jahrtausend als übermenschlichen Lover etabliert haben, ist er zum Traummann einer ganzen Generation aufgestiegen. Die Idee der ewigen Liebe, die trotz Tinder und Übersexualisierung der Gesellschaft in den Köpfen umherschwirrt, erhält in Bezug auf den unsterblichen Vampir eine völlig neue Dimension. Die Liebe eines Vampirs überdauert Jahrhunderte, hält der Zeit stand, ist unvergänglich. Diese idealisierte Vorstellung steht im krassen Gegensatz zur aktuell erlebten Realität, die für die meisten aus unverbindlichem Sex, emotionaler Leere und Bindungsängsten besteht.
Und genau das macht den modernen Vampir so attraktiv für uns. Er verkörpert all das, was uns in unseren Beziehungen und Körperkonzeptionen fehlt. Denn der vampirische Körper ist im Grunde genommen ein optimierter menschlicher Leib. Wo unsere Körper sich von Geburt an in einem unaufhaltsamen Prozess der Vergänglichkeit befinden, ist der glückliche Vampir konserviert in der Schönheit seiner Jugendblüte; die Verwandlung zum Vampir – denn vormals war auch er nur Mensch, so wie wir – kommt einem Make-Over gleich. Alle Defizite, die unsere sterbliche Hülle aufweist, werden ausgebessert: Als Vampir ist man schöner als je zuvor, in manchen Fällen glitzert man in der Sonne (Twilight), der Körper ist robust, ausgestattet mit übermenschlicher Stärke und Schnelligkeit, und natürlich: Unsterblichkeit (diese wurde dem Nachtgeschöpf übrigens erstmals von Anne Rice in ihrer Chronik der Vampire attribuiert).
Dass man für die gratis Lebensverlängerung und Verschönerung Blut trinken muss, ist dabei für die meisten – jetzt mal rein theoretisch – das geringste Übel. Interessanterweise wird in einigen zeitgenössischen Vampirserien der Spieß umgedreht und das ewige Leben des Vampirs als Fluch dargestellt; in The Vampire Diaries wird sogar ein Heilmittel entwickelt, durch welches der Blutsauger wieder zum Menschen werden und eine ‚normale‘ Existenz führen kann. Denn die ewige Liebe kann nur funktionieren, wenn beide Vampire sind – ist die Partnerin menschlich, muss der Vampir mitansehen, wie seine große Liebe in vampirisch kurzer Zeit verwelkt und stirbt; auf ihn wartet schließlich nur die Ewigkeit in aller Einsamkeit. Amen.
Zugegebenermaßen eine wenig verlockende Aussicht. Also ist unsere Vergänglichkeit doch etwas Positives? Bringt uns das Bewusstsein über die eigene Endlichkeit dazu, die Lebenszeit eher wertzuschätzen? Auch wenn die Thematisierung dieses Dilemmas zur Reflektion anregt, bleibt die Angst vor dem unaussprechlichen Tod im gesellschaftlichen Unterbewusstsein bestehen; denn dorthin wurde alles Todes-Verwandte im vergangenen Jahrhundert verdrängt. Die Abwehrreaktionen und peinlichen Gefühle, die heutzutage im Zusammenhang mit der Thematik des Sterbens empfunden werden, lassen sich laut Norbert Elias (1982) mit denen vergleichen, die im viktorianischen Zeitalter die Sexualität umrankten. Wodurch sich auch die romantisierte Entwicklung der Vampirfigur erklären lässt: Verkörperte der Vampir im 19. Jahrhundert die gefährliche, darum tabuisierte Sexualität, so hat er im 21. Jahrhundert, dem Zeitalter der Pornographisierung, seinen Schrecken verloren und als übermenschlicher Geliebter an Attraktivität gewonnen. Quasi ein Superheld im Bett. Seine traditionelle Verbindung zum Sexualitätssujet macht ihn begehrenswert, und die Todesthematik wird oberflächlich durch seine Unsterblichkeit geschickt umgangen. Die Metaphorisierung des aus der Verdrängung uns heimsuchenden Todes und der Verfall des menschlichen Körpers wird heuer dankenswerterweise vom Monstergenossen Zombie übernommen. Zugegeben: Auch wenn wir uns mit einer einsam, aber in Schönheit und Perfektion zugebrachten Ewigkeit als Vampir arrangieren können – bis zum Ende aller Tage als verwesende, identitäts- und hirnlose Leiche will niemand über die Erde wandeln. Dann doch lieber ein im Vergänglichkeitsbewusstsein verbrachtes Menschenleben.
Sandra Wagner im OPUS Kulturmagazin 76 (November / Dezember 2019) auf S. 80 f. zum Schwerpunktthema „Vergänglichkeit“.