
von Georg Leisten
Das Bild rutscht weg. Langsam, wie der Sand einer Sanduhr, rieselt es aus dem Monitor hinaus. In der Videokunst von Ulrich Bernhardt wird die gute alte Flimmerkiste zum Emblem für das Wirken der Zeit. „Der Fluss“ heißt die Medieninstallation aus dem Jahr 1978. Die Arbeit steht im Mittelpunkt einer Projektschau, mit der das Karlsruher ZKM den heute 82-jährigen Künstler würdigt. Obschon sich der Wahlstuttgarter in den vergangenen 50 Jahren vorwiegend im Bereich der Film- und Fotokunst profiliert hat, verdankt er seine überregionale Bekanntheit einem
vergleichsweise traditionellen Frühwerk. Im Auftrag des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes schuf Bernhardt 1967/68 das ikonische Plakat der westdeutschen Studentenbewegung. In der Bildmitte sind die revolutionären Häupter von Marx, Engels und Lenin zu sehen. Darüber steht die Frage „Alle reden vom Wetter?“ und unten die klare Antwort: „Wir nicht“. Das Ganze spielte auf einen seinerzeit populären Slogan der Bahn an. Wegen einer anderen politischen Intervention wäre Bernhardt um ein Haar von der Kunstakademie geflogen. Später wandte er sich vom Aktionismus ab. Seit den 70er Jahren beleuchtet sein Schaffen Technologie und Wissenschaft, um darin symbolische wie mythologische Strukturen freizulegen. Ein Leitmotiv ist in Karlsruhe die altgriechische Vorstellung von der Zeit als Fluss, der sich ständig bewegt und dabei doch derselbe bleibt. So wird das Video einer ruhig sprudelnden Quelle mit Echtzeitaufnahmen der Ausstellungsgäste zusammengeschaltet. Auf einem weiteren Monitor läuft eine Nachrichtensendung, doch die Schritte der Herantretenden lösen einen versteckten Mechanismus aus. Er sorgt dafür, dass sich die handfest geglaubten Bilder aus der Welt der Politik verflüchtigen. Zeile für Zeile läuft die Fernsehwirklichkeit aus. Bernhardt will keine Bilder erstellen, sondern Bilder in Frage stellen: ihre Möglichkeiten, ihren Wahrheitsanspruch, ihre sich wandelnden Bedeutungen.
Spannend ist in diesem Kontext auch der aktualisierte Blick auf die Arbeit „Der Sarkophag“ von 1996. Entstanden zum 10. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, soll das Raumkunstwerk die historischen Folgen von Radioaktivität sinnlich greifbar machen. Denn gerade Substanzen wie Cäsium und Strontium veranschaulichen, dass die Zeit tatsächlich ein Fluss ist. Sogar ein sehr langer. Der Mensch mag, wie der Philosoph Michel Foucault prophezeite, irgendwann verschwinden wie ein Gesicht im Sand am Meer – die Kraftwerke jedoch werden weiter strahlen.
Noch bis zum 22.2.26 im Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM) zu sehen.
Titelbild: Guck mal, wie die Zeit vergeht. Videoinstallation „Im Fluss“ © Ulrich Bernhardt, Foto: Ellen Bailly
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