Anna Jörgens (Ophelia) und Michael Wischniowski (Hamlet) © Foto: Astrid Karger
Hamlet von William Shakespeare ist eine Tragödie mit typischen Ingredienzen: zwiespältige Macht, Mord und Verrat, Misstrauen, aber auch Liebe und Freundschaft. Bettina Bruinier, scheidende Chefin des Sprechtheaters, hat sich für ihre letzte Produktion in Saarbrücken, diesen dramatischen Stoff erwählt. Sie hat das Original entschlackt, verschlankt und in zeitgemäßer Form auf die Bühne gebracht.
Es beginnt mit einem Video, ganz wie in den gewohnten täglichen Nachrichtensendungen im Fernsehen. Hamlets Freund Horatio (souverän und professionell Gregor Trakis), zum Nachrichtensprecher und Moderator mutiert, interviewt Staatsrätin Polonius, (im Original Lord Chamberlain: ein Hauch von Feminismus?), zur aktuellen Lage im dänischen Königshaus. So erleben wir die Exposition des Dramas mit dem sich anbahnenden Konflikt in den Antworten der streng disziplinierten Staatsbeamtin, treffend gespielt von Verena Bukal.
Von Anfang an war eines klar: Es ist nicht nur der Geist von Hamlets Vater (gefasst und würdig gespielt von Bernd Geiling), der ihm vermittelt, dass sein Bruder ihn getötet habe. In der neuen Fassung des Dramas spricht der Onkel in seinem Monolog offen freimütig über den Mord, den er begangen hat. Ein Kunstgriff, mit dem Bruinier das Komplott als objektiven Fakt darstellt. Es ist dann der Geist von Hamlets Vater, der dem Sohn die Bürde der Rache an Onkel und Mutter auflädt, die Claudius als Krönung des Verbrechens zur Frau genommen hat.
Die Wortgefechte zwischen Hamlet und dem Königspaar sind gestochen scharf und auf den Höhepunkten geschrien laut. Man schenkt sich nichts. Der Onkel und die Mutter wollen den widerspenstigen Prinzen loswerden und schicken ihn auf eine diplomatische Mission nach England, gemeinsam mit dem Höfling Rosencrantz, der dem Königspaar mehr geschubst als willig gehorcht und in seiner Unterwürfigkeit geradezu perfekt verkörpert wird von Jan Hutter. Misstrauisch entsiegelt Hamlet den Brief des Onkels mit der Botschaft an den englischen Herrscher Fortimbras, Hamlet endgültig aus dem Weg zu räumen. Er fälscht den Brief und trägt Laertes als Opfer ein, dessen Überwachung er dank einer List entkommt. Er macht sich auf den Heimweg nach Dänemark. Zurück am Königshof, quält er seine Mutter mit bohrenden, peinigenden Fragen und bringt die von Gaby Pochert überzeugend dargestellte Königin völlig aus der Fassung. Weiter geht die Eskalation im Streit mit dem König, den er mit einem Florett bedroht, mit dem er so wild herumfuchtelt, dass er versehentlich die hinter einem Vorhang lauschende Staatsrätin Polonius ersticht. Deren Sohn Laertes, den Jan Hutter in seiner Doppelrolle ebenso überzeugend verkörpert wie Rosencrantz, erhält vom König das Florett zum Racheduell mit Hamlet. Gemeinsam mit seiner Gemahlin beobachtet König Claudius das Duell, offenbar unwissend, dass der Wein in dem Pokal, aus dem er trinkt und auch Königin Gertrud kosten lässt, vergiftet ist. Beide finden den Tod. Dieses Schicksal trifft aber auch Hamlet, als er von der giftgetränkten Spitze des Floretts von Laertes getroffen wird.
Nur eine Nebenrolle spielt letztlich Ophelia, die Tochter der Staatsrätin Polonius und Freundin Hamlets, die die Konflikte nicht verkraften kann und durch einen unglücklichen Fehltritt in einen Bach fällt und dort ertrinkt. Anna Jörgens spielt diese Rolle dieser verhuschten und tief traurigen jungen Frau sehr glaubhaft und anrührend.
Sebastian Jacobi verkörpert überzeugend den zynisch verschlagenen, machtgierigen König Claudius in seinem eleganten schicken Anzug. Mit Hingabe agiert auch Königin Gertrud in ihrer eleganten roten Robe (Kostüme: Justina Klimczyk). Star des Abends ist jedoch Michael Wichniowski, der den aufbegehrenden, zugleich verzweifelten, sein Rachewerk konsequent vollendenden Dänenprinzen in allen seinen Facetten grandios über die Rampe bringt. Zurecht erntet er in der lange beklatschten Vorstellung begeisterten Beifall.
Bettina Bruinier ist in ihrer Abschiedsvorstellung ein großer Wurf gelungen. Der Spannungsbogen wird von Anfang bis zum Ende durchgehalten. Daran vermag auch der etwas aufgebauschte Anfang des zweiten Teils des Abends nichts zu ändern. Das raffiniert einfach erscheinende Bühnenbild von Volker Thiele mit verschiedenen Vorhängen, die Räume öffnen und schließen, bietet Gelegenheit zu schnellen, bisweilen überraschenden Szenenwechseln. Die semipermeablen Vorhangstoffe sind eine ideale Projektionsfläche für die zahlreichen beeindruckenden Videos von Grigory Shklyar, die den Fortgang der Handlung stützen oder das Bühnenpersonal – ganz besonders Hamlet – in stupender Großaufnahme zeigen, Emotionen sinnfällig machen und hohe Intensität erzeugen. Last not least: Gesa Oetting am Lichtpult setzt die Akzente, die das Bühnengeschehen profilieren.
Ein rundum gelungener Theaterabend.
Kurt Bohr