Foto: In Liebe entbrannt: Marco Cavaradossi und Floria Tosca © Martin Kaufhold
Eine Art Weihnachtsmärchen für Erwachsene beschert Jean-Claude Berutti seinem Publikum zum Christfest. Zwar eins mit unglücklichem Ausgang, aber so entrückt, wie es Märchen nun mal sind. Für das Theater Trier hat der zum Ende der Spielzeit scheidende Opernchef des Hauses Giacomo Puccinis in Rom angesiedelte Oper „Tosca“ neu inszeniert. Die Geschichte von der schönen Sängerin, die den widerständigen Maler Mario Cavaradossi liebt und vom miesen Polizeichef Baron Scarpia bedrängt und dann übel über den Tisch gezogen wird, gehört bekanntlich zu den Top Five im Ranking der meist gespielten Opern weltweit. Nicht nur in der Mode ist Retro im Trend. Auch Berutti setzt auf einen historisierenden Neoverismus, der sich an der über viele Jahre tradierten Aufführungspraxis der Oper orientiert. Bis hin zur unglücklichen Tosca, die ihre berühmte Arie „Nur der Schönheit weiht ich mein Leben“ auf dem Boden kniend singt. Zur realistischen Ausstattung des Bühnenraums (Bühnenbild Rudy Sabounghi) hat Julien Soulier bildmächtige Videos auf die Bühnenwand projiziert, die in bester Castorf Tradition den Bühnenraum erweitern hin in den Kirchenraum Sant‘ Andrea della Valle, wo Cavaradossi malt oder in seine herangezoomte Gefängniszelle in der Engelsburg, sowie in den Palazzo Farnese, in dem der Polizeichef residiert. Da wird der Opernchef dann auch gleich noch zum kunstliebenden Fremdenführer, der sein Publikum zu einem virtuellen Rundgang durch die prachtvolle Bildergalerie des Palastes mitnimmt. Das alltäglich per Navi gesteuerte Publikum wird hier sicherheitshalber durch den eingeblendeten elektronischen Stadtplan zu den Handlungsorten gelenkt.
Die Oper, zu der Giuseppe Giacosa und Luigi Illica das Libretto nach dem Schauspiel „La Tosca“ von Victorien Sardou geschrieben haben, sorgte bekanntlich wegen ihrer politischen und kirchenkritischen Substanz bei ihrer Uraufführung 1900 in Rom für erhebliche Aufregung. Berutti setzt seinen Akzent beim kirchenkritischen Potential. Dabei verlässt er sich auf den satirischen Zerrspiegel. Wenn der Mesner mit devot gebeugtem Rücken durch den Kirchenraum wuselt oder die Geistlichkeit samt Messdienern (Opern-, Extra-und Kinderchor des Theaters) herumspringt als wären sie in einer Aufführung von „Sister Act“, hat das Publikum seinen Spaß. Großes Kino zum Thema „veruntreuter Himmel“ ist dagegen der virtuelle Sturz des Kirchgewölbes. Da fühlt man sich im Gegenwartstheater. Puccini schätzte Sardous Drama besonders wegen der ausgewogenen Proportionen. Dabei belässt es auch Berutti, ebenso wie beim historisierenden Kostümbild der Oper (Kostüme Jeanny Kratochwil), die um 1800 während der napoleonischen Kriege in Italien spielt. Etwas arg auf männliche Lumpenliesel gemacht ist Marc Kugel als flüchtiger Cesare Angelotti. Die Ausgewogenheit der Personenkonstellation geht allerdings auf Kosten der Präsenz und der darstellerischen Kraft. An denen fehlt es dem respektabel singenden Karsten Büttner als Cavaradossi genauso wie Diana Lamar als Floria Tosca. Die kämpft nicht nur mit ihrem Gewissen und dem übergriffigen Polizeichef, sondern auch ganz gewaltig mit den musikalischen Höhen. Dafür klingt sie in der Mittellage durchaus beseelt. Roman Lalcic ist als solide singender Scarpia ein recht trockener Bürokrat, dem man zwar eine Intrige zutraut, aber keine Leidenschaft und den seine Rolle eher verkleidet als durchdringt. Wenn er singt: „Es ist besser eine Frau zu besiegen, als ihr zu erliegen“ ist das zwar geradezu macchiavellistisch, klingt aber bei Lalcic wie eine Verwaltungsvorschrift. Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Jochem Hochstenbach setzt das Philharmonische Orchester der Stadt Trier vor allem auf das Gewaltpotential der Musik. Dazwischen gelingen ihm allerdings auch feine lyrische Momente, wenn es etwa intoniert: „Es blitzen die Sterne“.
Alles in allem wirkt das Ganze wie ein historischer Kostümfilm mit ein paar Anachronismen, wie den elektrischen Kerzen, die wohl dem Brandschutz geschuldet sind. Oder dem Abwischen der Gläser zur Beseitigung von Spuren durch Tosca, die gerade den aufdringlichen Scarpia entleibt hat. Soviel Vorsicht wäre nicht nötig gewesen. Durch Fingerabdrücke konnte man Delinquenten erst 100 Jahre später überführen.
Weitere Aufführungen: 9., 20., 25.12.2022 ,!9.30, 29.1.2023,16 Uhr Theater Trier Großes Haus, theater-trier.de
Eva-Maria Reuther